Brasilien / Politik

Brasilien: Nach Rücktritt von Minister Moro droht der Regierung Bolsonaro das Ende

Wollte Präsident Bolsonaro seinen Sohn vor Ermittlungen der Bundespolizei schützen? Nach Gesundheitsminister verlässt weitere Stütze das Kabinett

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Gehen ab sofort getrennte Wege: Kämpfer gegen die Linke, Präsident Jair Bolsonaro (li) und sein ehemaliger Justizminister, Sérgio Moro.
Gehen ab sofort getrennte Wege: Kämpfer gegen die Linke, Präsident Jair Bolsonaro (li) und sein ehemaliger Justizminister, Sérgio Moro.

Brasília. In Brasilien spitzt sich nach dem Rücktritt des bisher beliebtesten Ministers die politische Lage um Präsident Jair Bolsonaro weiter zu. Justizminister Sérgio Moro hatte den Regierungschef gestern um seine Entlassung gebeten, nachdem dieser hinter dessen Rücken und in dessen Namen den Chef der Bundespolizei und Vertrauten Moros, Maurício Valeixo, entlassen hatte. Der eigentlich zuständige Minister begründete seinen Entschluss zum Rücktritt damit, dass Bolsonaro einen eigenen Vertrauten auf den Posten setzen wollte, um so Einfluss auf die Arbeit der Bundespolizei (Policia Federal, PF) zu gewinnen. "Dieser Vertrauensbruch ist ein Zeichen, dass mich der Präsident wirklich draußen haben will."

Laut Moro soll Bolsonaro nicht zum ersten Mal versucht haben, in die Arbeit der Bundespolizei einzugreifen. "Der Präsident wollte da an der Leitung [der PF] jemanden mit persönlichem Kontakt, um direkt Informationen zu bekommen", so der Ex-Minister. Dabei ging es vor allem um Ermittlungen gegen dessen Söhne.

Wie am Donnerstag bekannt wurde, identifizierten Bundespolizisten den zweitältesten Sohn des Präsidenten, den Kommunalpolitiker Carlos Bolsonaro, als Kopf einer Bande, die gezielt Fake-News gegen das Oberste Bundesgericht (STF) gestreut hatte. Das Gericht hatte zuvor dieselbe Einheit der PF beauftragt, die Hintermänner der anti-demokratischen Proteste vom vergangenen Sonntag zu ermitteln, bei denen zum Militärputsch aufgerufen wurde und an denen auch Bolsonaro teilnahm.

Vergangenen Oktober geriet Carlos Bolsonaro ins Schlaglicht als der Medienkonzern Globo unter Berufung auf die Polizei von Rio de Janeiro die Präsidentenfamilie mit dem Mord an der linken Stadträtin Marielle Franco in Verbindung brachte. Daraufhin drängte Bolsonaro über seinen Sicherheitsminister Moro die Bundespolizei, die Ermittlungen zu übernehmen.

Bereits im Dezember 2018 geriet Bolsonaros ältester Sohn, Senator Flávio Bolsonaro, ins Visier der Finanzkontrollbehörde (Coaf). Die Behörde stellte "atypische Finanztransaktionen" von 1,2 Mio. Reais, knapp 300.000 Euro, bei einem damaligen Mitarbeiter von Flávio Bolsonaro fest. Bevor die Ermittlungen wegen illegaler Wahlkampffinanzierung und Bestechungen zu einem Erfolg kommen konnten, entzog sie der Präsident im August 2019 dem politischen Zugriff. Entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Korruptionsbekämpfers Moro entmachtete Bolsonaro die Finanzkontrollbehörde und ordnete sie der Bundesbank unter.

Auch den jüngsten Austausch der Führungsebene der Bundespolizei werten Rechtsexperten als klaren Amtsmissbrauch des Präsidenten. Die Erklärung Moros über die Hintergründe seiner Demission entlarven "den Wunsch des Präsidenten, sich in Ermittlungen einzumischen. Nachrichtendienstliche Informationen zu bekommen, stellt den Versuch des politischen Gebrauchs der Bundespolizei dar", so der Kriminalist Bruno Salles gegenüber dem Nachrichtendienst UOL.

Doch mit dem Verlust von Moro könnte Bolsonaro nun seine Regierung aufs Spiel gesetzt haben. Parlamentarier des Regierungsblocks bedauerten den Abgang des Justizministers bereits und forderten Erklärungen vom Regierungschef. Die Militärs im Kabinett sollen seit gestern darüber diskutieren, ob sie die Regierung verlassen sollen. Sie stellen ein Drittel des gesamten Regierungsapparats und gelten als wichtigste Unterstützer des Präsidenten.

Der Abgang von Moro erschüttert selbst Bolsonaros wichtigste Wählergruppe, die Evangelikalen. Der Verband evangelikaler Juristen forderte, dessen Einmischung bei der Bundespolizei müsse umgehend untersucht werden. Evangelikale Führer hatten Moro noch vor dessen Rücktritt gebeten, "sich nicht der Tyrannei Bolsonaros zu unterwerfen", berichtet die konservative Zeitung Estadão. Auch Teile der politischen Rechten fordern Bolsonaros Rücktritt.

Tatsächlich hat ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten seit gestern zum ersten Mal Aussicht auf Erfolg. Moros Popularität verhalf Bolsonaro ins Amt und stand bis zuletzt weit über der des Präsidenten. Linke und Konservative könnten im Parlament eine Mehrheit gegen die Minderheitsregierung des parteilosen Präsidenten bilden.

Bereits jetzt liegen 24 Anträge auf Amtsenthebung gegen Bolsonaro beim konservativen Parlamentspräsident Rodrigo Maia (DEM) zur Prüfung vor. Am Mittwoch erst hatte der frühere Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratischen PDT, Ciro Gomes, einen entsprechenden Antrag eingereicht. Gomes wirft Bolsonaro Amtsmissbrauch vor, weil dieser sich an den Demonstrationen am vergangenen Sonntag beteiligte und zu Handlungen gegen das Parlament und die Justiz aufgerufen hatte. Ähnlich argumentieren die Abgeordneten der sozialistischen PSOL in ihrem Antrag vom vergangenem März.

Unterdessen ging Moro einen Schritt auf die Linken zu, indem er den Vorgängerregierungen der Arbeiterpartei (PT) von Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2010) und Dilma Rousseff (2011-2016) seine Anerkennung zollte. "Es ist richtig, dass die damalige Regierung unendliche Fehler hatte, diese gigantischen Korruptionsvergehen. Aber die Autonomie der Bundespolizei war während der Ermittlungen stets garantiert, um [meine] Arbeit zu machen", so Moro.

Als Ermittlungsrichter im Korruptionsskandal Lava Jato trieb Moro unter Rousseff vorrangig Prozesse gegen Mitglieder der Arbeiterpartei voran. Im Wahlkampfjahr 2018 brachte er mit Lula den aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten in einem international als politisch motiviert kritisierten Prozess hinter Gittern. Erst dies ermöglichte Bolsonaro den Wahlsieg, wonach dieser Moro zum "Superminister" für Sicherheit und Justiz ernannte.