Protest nach Rausschmiss von Brasilien-Autor Cuenca bei Deutscher Welle

Schriftsteller João Paulo Cuenca nach Kritik an Präsident Bolsonaro auf Twitter entlassen. Mehr als 100 Erstunterzeichner schicken Protestbrief an Sendeleitung

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Tweet von Cuenca: Wortspiel mit historischem Zitat oder "Hassrede"?
Tweet von Cuenca: Wortspiel mit historischem Zitat oder "Hassrede"?

Brasília/Bonn. Weltweit regt sich Protest gegen die Entscheidung der Deutschen Welle (DW), sich aufgrund einer satirischen Formulierung gegen den Präsidenten Jair Bolsonaro von dem Autoren João Paulo Cuenca zu trennen. Journalisten, Schriftsteller und Aktivisten werfen dem deutschen Auslandsrundfunk nun vor, sich dem Druck Bolsonaros und der brasilianischen Rechten gebeugt zu haben.

Der Journalist und Schriftsteller Cuenca, der auch für das Investigativmagazin The Intercept Brasil arbeitet, hatte auf seinem privaten Twitter-Kanal geschrieben: "Der Brasilianer wird erst frei sein, wenn der letzte Bolsonaro an den Gedärmen des letzten Pastors der Igreja Universal gehängt worden ist." Der Satz ist eine weitere Abwandlung eines Zitats des französischen Philosophen Jean Meslier aus dem 18. Jahrhundert. Selbst der Hauptideologe des Bolsonarismus, der rechtsextreme Denker Olavo de Carvalho, hat die Konstruktion mindestens zweimal verwendet.

Daraufhin wurde Cuenca in den sozialen Netzen massiv angegriffen. Der Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro warf dem Journalisten "fehlenden Respekt vor dem Präsidenten" vor, und Cuenca erhielt Hunderte Morddrohungen. Wegen früherer Bedrohungen hatte Cuenca bereits 2019 das Land verlassen.

Der deutsche Auslandsrundfunk in Brasilien sah in dem Tweet den Tatbestand der "Hassrede und der Aufstachelung zur Gewalt" gegeben und kündigte die Kolumne Cuencas. Dieser habe mit seinem Post gegen die Werte der Deutschen Welle verstoßen. Man verteidige die Presse- und Meinungsfreiheit, "doch trifft das nicht im Fall dieser Äußerungen [Cuencas] zu", so die DW weiter. Ultrarechte Anhänger der Regierung begrüßten die Entscheidung und Eduardo Bolsonaro sah "Hoffnung für bestimmte Segmente in der Presse". Cuenca selbst bezeichnete die Stellungnahme der DW als "verlogen, feige und verleumderisch" und will gegen den Vorwurf der Hassrede klagen.

Kritiker werfen der DW vor, sich dem Druck des Bolsonaro-Lagers zu beugen und Zensur in Kauf zu nehmen. "Journalisten oder Kolumnisten unter dem Gebrüll der Bolsonaro-Anhänger zu entlassen, spielt nach den Regeln des Faschismus", so der Journalist Paulo Werneck. Der Globo-Journalist Marcelo Lins warf der DW vor, aufgrund einer "oberflächlichen Lesart, externen Drucks und fehlender [historischer] Bezüge" entschieden zu haben. Das englischsprachige Magazin Brasilwire schreibt von Zensur.

Nun fordern auch in Deutschland lebende Brasilianer und Deutsche, darunter der Vize-Präsident des PEN-Clubs Deutschland, Ralf Nestmeyer, der namhafte Schriftsteller und FAZ-Kolumnist Rafael Cardoso und der Übersetzer Michael Kegler, in einem offenen Brief an die Deutsche Welle Brasilien die Rückkehr von Cuenca. Nach Auffassung der 107 Unterzeichner lasse sich der betreffende Satz keinesfalls als Aufstachelung zum Hass interpretieren. "Man kann darüber diskutieren, ob dieses Wortspiel […] schlecht kontextualisiert ist." Die Trennung von dem Bolsonaro-kritischen Essayisten sei jedoch als Eingriff in die Meinungsfreiheit und Zensur zu verstehen.

Cuenca erklärte seinen Tweet gegenüber dem deutschen Online-Magazin Telepolis so: "Am Dienstag vorletzter Woche las ich, dass die brasilianische Bundesregierung 30 Millionen Reais (gut 4,88 Millionen Euro) für Radio- und Fernsehsender evangelikaler Pastoren freigegeben hat, die Präsident Jair Bolsonaro unterstützen." Daraufhin habe er am Morgen zwischen Anführungszeichen das abgewandelte Meslier-Zitat gepostet. Der Satz sei seit seiner Publikation schließlich vielfach abgeändert worden, so Cuenca, der mehrere Beispiele anführt. Im Mai 1968 etwa sei in den Straßen von Paris zu lesen gewesen: "Nachdem wir den letzten Bürokraten an den Gedärmen des letzten Soziologen erhängt haben, werden wir dann immer noch Probleme haben?"

"Da die redaktionell Verantwortlichen in Bonn gebildete Erwachsene mit uneingeschränkten kognitiven Funktionen sind, die meine antifaschistischen Texte in den letzten Monaten gelesen und bearbeitet haben, glaube ich, dass sie wissen, was eine Metapher ist", so Cuenca weiter. Er habe ihnen noch angeboten, einen Text zur Klärung des Satzes zu verfassen. "Aber sie kamen dem zuvor und veröffentlichten eine ungeschickte und verlogene Notiz, in der sie mich eines Verbrechens bezichtigten, das ich nicht begangen habe: Hassrede."

Er selbst sei sich über die Motivation der Deutschen Welle nicht sicher, schreibt Cuenca weiter: "Entweder haben sie dem Druck des Regierungskabinetts des Hasses in Brasilien nachgegeben, oder die Tentakel dieser Regierung reichen bis nach Deutschland."