Bogotá. Heute findet die entscheidendste Präsidentschaftswahl der jüngsten Geschichte Kolumbiens statt. Zum ersten Mal haben in einem Land, wo die Regierungen immer zwischen einem neoliberalen Rechtskonservatismus und einer neoliberalen ultrarechten Tendenz schwankten, linke Politiker:innen die Chance, Präsident und Vizepräsidentin zu werden: Der Ex-Oberbürgermeister von Bogotá, Gustavo Petro, für das progressive breite Bündnis Pacto Histórico und die afrokolumbianische Aktivistin Francia Márquez.
Gustavo Petro
Laut den letzten Befragungen von drei inländischen Instituten und des Centro Estratégico Latinoamericano de Geopolítica (Strategisches Lateinamerikanisches Zentrum für Geopolitik, Celag) würde Petro heute zwischen 35 und 45 Prozent der Stimmen erzielen.
Im Jahr 2018 hatte Petro bei den Präsidentschaftswahlen acht Millionen Stimmen bekommen. Das war bis dahin die höchste Stimmenzahl, die je für einen linken Kandidaten in Kolumbien abgegeben wurde. Damals gewann jedoch Iván Duque, Protegé des ultrarechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, mit zehn Millionen Stimmen.
Die Tatsache, dass Petro am klarsten dem politischen Modell der "Uribisten" entgegensteht, dürfte ihn heute zum ausreichsten Anwärter machen. Die Fortsetzung der unsozialen, autoritären und friedensfeindlichen Politik Uribes durch die Regierung Duque, begleitet von Korruptionsskandalen, die sie mit der Drogenmafia in Verbindung brachte, rief in breiten Teile der Gesellschaft große Unzufriedenheit hervor.
Nicht nur die nach der Pandemie extrem verarmten unteren Schichten, die bei der sozialen Explosion im Frühjahr 2021 auf die Straße gingen, und die sozialen Bewegungen fürchten eine weitere Regierung im Sinne Uribes. Auch Politiker:innen des politischen Establishments, die mit der Regierung von Juan Manuel Santos gearbeitet hatten und sich durch die mangelhafte Umsetzung des Friedensvertrags durch die Regierung Duque frustriert sehen, schlossen sich dem breiten progressiven Bündnis Pacto Histórico (PH) an, für das Petro nun kandidiert.
Das politische Programm Petros hat wenig mit "Enteignungen" von Unternehmen und Rentenguthaben, "Castrochavismus" oder einer Änderung der Verfassung hin zu unbegrenzter Verlängerung der Präsidentschaftsperiode zu tun, was die rechte Gegenkampagne per WhatsApp-Gruppen verbreitet. Vielmehr sieht es nach sozialdemokratischen Veränderungen mit einen Augenmerk auf die Umweltpolitik aus.
Die Privatisierungen im Bildungswesen, im Gesundheitssektor und in der Altersvorsorge will Petro rückgängig machen. Sein Programm strebt nach einer sukzessiven Ersetzung der Rohstoffwirtschaft durch eine leichte Industrialisierung, nach Produktivitätssteigerungen bei mittelgroßen und kleinen Unternehmen und der Neuverhandlung der Freihandelsabkommen. Petro ist der einzige Kandidat, der die Abschaffung der berüchtigten Sondereinheit der Polizei, Esmad, und eine Steuerreform, die unproduktives Kapital besteuert, vorschlägt .
Federico Gutiérrez
Der zweite Platz in den Prognosen nimmt mit 20 bis 30 Prozent der Stimmen der rechte Federico Gutiérrez, in Kolumbien als "Fico" bekannt, ein. Gutiérrez kandidiert für die Wahlkoalition "Equipo por Colombia" (Team für Kolumbien).
Der 48-Jährige weist zurück, Kandidat von Uribe oder der Regierungspartei Centro Democrático zu sein. Prominente Politiker:innen des "Uribismus" unterstützen ihn jedoch ganz offen. Laut Oppositionellen stehen hinter "Fico" 45 der 54 korrupten "Clans" des Landes. Unter ihnen der "Clan" der Char-Familie, deren Mitglieder mit Stimmenkauf, Geldwäsche und Verbindungen zu Paramilitärs in Zusammenhang gebracht werden. Auch im Odebrecht-Skandal taucht der Clan auf.
Der Leiter des Dezernats für Sicherheit, unter Ficos Regierung Oberbürgermeister von Medellín (2016 bis 2019), sitzt wegen Verbindungen mit der paramilitärischen Drogenstruktur "Oficina de Envigado" im Gefängnis.
"Fico" stellt sich als Befürworter des Friedensvertrags dar, unterstützt aber autoritäre Maßnahmen wie die forcierte Ausrottung des Kokaanbaus durch Glyphosat. Er würde Fracking durchführen, ist gegen die Straffreiheit bei Abtreibungen und hat die Verteidigungsstrukturen der sozialen Proteste der vergangenen Jahre, die "Primeras Lineas", als "Terroristen" bezeichnet und für Solidarität mit der Polizei geworben.
Rodolfo Hernández
Hinter "Fico" liegt der rechtskonservative Ex-Bürgermeister von Bucaramanga, Rodolfo Hernández, mit 13 bis 20 Prozent vorhergesagter Stimmen. Hernández vertritt die Bewegung "Liga de Gobernantes Anticorrupción" (Verband von Regierenden gegen die Korruption). In den letzten Wochen ist der 77-Jährige in den Umfragen so schnell gestiegen, dass er "Fico" den zweiten Platz bei den Wahlergebnissen streitig machen könnte.
Einige sehen in ihm den kolumbianischen Donald Trump. Hernández stellt sich als Outsider und als Selfmade-Millionär dar, der nichts mit dem Establishment oder den traditionellen Parteien zu tun hat. Er ist für seine umstrittenen Statements bekannt. Zum Beispiel hat er Bewunderung für Hitler geäußert.
In einem Interview sagte er, die Unternehmen müssten verstehen, dass es "ein gutes Geschäft" sei, "Arme mit Konsumkapazität zu haben". Ebenso lobte er als Immobilienunternehmer die Hypotheken. "Stellen Sie sich vor: Ein Männlein das mir 15 Jahre lang Zinsen bezahlt. Das ist köstlich."
Hernández schrieb sich die Bekämpfung der Korruption auf die Fahne, wurde aber selber wegen Korruption angeklagt. Im Juli wird er vor Gericht müssen.
Sergio Fajardo
Auf dem vierten Platz liegt der Vertreter der "Colación Centro Esperanza" (Koalition der Mitte und der Hoffnung), Sergio Fajardo, mit vier bis fünf Prozent vorhergesagter Stimmen. Fajardo versteht sich als Vertreter der politischen Mitte. Zu seiner Koalition gehört die Führung der Grünen Allianz. Teile der Grünen haben sich aber auch dem Pacto Histórico angeschlossen.
Fajardo war Oberbürgermeister von Medellín und Governeur von Antioquia. Die Bekämpfung der Korruption ist auch ein Motto seiner Wahlkampagne. Er spricht sich gegen Fracking, den Einsatz von Glyphosat und für die Umsetzung des Friedensvertrags aus.
Angehörige des Pacto Histórico werfen ihm eine Tendenz zum Neoliberalismus vor. Umweltaktive werfen ihm Mitverantwortung bei der Katastrophe am Staudamm Hidrohituango und seinen repressiven Umgang mit der dortigen Umweltbewegung vor. Sein Programm lässt das aktuelle Gesundheits- und Bildungssystem unberührt. Fajardo ist gegen die Abschaffung des Esmad.
Den Umfragen nach werden die letzten zwei Kandidaten des rechten Lagers, John Milton Rodríguez und Enrique Gómez, mit zusammen weniger als 1,3 Prozent Stimmenanteil bei den Wahlen kaum eine Rolle spielen.