Freilassung von Gefangenen aus der Revolte löst politische Krise in Chile aus

Opposition läuft Sturm gegen die Begnadigungen durch den Präsidenten. Große Medien wettern ebenfalls dagegen. Justizministerin muss zurücktreten

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Seit Jahren fordern soziale Bewegungen die Freilassung der Gefangenen aus der Revolte von 2019.
Seit Jahren fordern soziale Bewegungen die Freilassung der Gefangenen aus der Revolte von 2019.

Santiago. Die Begnadigung von 13 politischen Aktivisten durch Präsident Gabriel Boric hat den Rücktritt einer Ministerin, die schlechtesten Umfragewerte des Regierungschefs seit Beginn seiner Amtszeit und eine Opposition in Höhenflügen ausgelöst.

Die Präsidialbegnadigung vom 30. Dezember sorgte für die Freilassung von zwölf veurteilten Teilnehmern der Proteste von Oktober 2019 sowie von Jorge Mateluna, einem Mitglied der ehemaligen bewaffneten Widerstandsgruppe gegen die Militärdiktatur, Frente Patriótico Manuel Ródriguez (FPMR). Während die Entscheidung für die Familien der Begnadigten eine unerwartete Glücksnachricht war, reagierten die rechten Parteien und die Großmedien heftig dagegen.

Der Parlamentarier der ultrarechten Partei Unión Democrática Independiente (UDI), Juan Antonio Coloma, sagte gegenüber den Medien: "Wer jene begnadigen will, die Chile zerstört haben, ist auf der Seite der Straffreiheit und gibt diesen Gewalttätern freien Lauf".

Gleichzeitig zogen sich die UDI und und die rechte Partei Renovación Nacional (RN) aus einer gemeinsamen Kommission mit der Regierung für Sicherheit zurück. Die Entscheidung des Präsidenten sei ein schlechtes Signal für die Sicherheit im Land und für alle Gewaltopfer in Chile, so die Begründung. Es sei unmöglich, mit einer Regierung zusammenzuarbeiten, die auf der einen Seite angebe, für Sicherheit sorgen zu wollen und auf der anderen Seite Gewalttäter freilasse.

Währenddessen zeigten verschiedene Fernsehsender am 5. Januar den Fall eines Begnadigten, der bereits sieben Mal wegen Diebstahl und anderen Delikte verurteilt worden war. Dies hinterließ den Eindruck, dass es sich bei allen begnadigten Gefangenen um Straftäter handeln könnte.

Die Nachricht führte zu einem Sturm gegen die Justizministerin Marcela Ríos. Die rechten Parteien kündigten eine Verfassungsklage gegen die Ministerin an, während der Präsident selber ihr das Vertrauen entzog. Boric sagte gegenüber den Medien, er sei nicht ausreichend über die Vorgeschichte der Begnadigten informiert worden. Diese Verantwortung liege bei der Ministerin, die daraufhin den Schreibtisch räumen musste. Gleichzeitig betonte Regierungssprecherin Camila Vallejo dass die Begnadigungen nicht rückgängig gemacht werden könnten.

Die Begnadigung von gefangenen Aktivist:innen aus der Revolte war ein Wahlversprechen Borics.

Im Internet kursierten derweil Aufnahmen von der Freilassung der Gefangenen. In Tränen aufgelöste Familienmitglieder und Freund:innen warteten vor den Toren der Gefängnisse und nahmen sie mit Umarmungen auf.

Die Senatorin Fabiola Campillai dankte in einer Videoansprache dem Präsidenten für die Entscheidung. "Es ist ein humanitärer Akt", sagte sie. Der Kampf der Mütter, die jahrelang durch das Land reisten um für die Freiheit der politischen Gefangenen aus der sozialen Revolte zu kämpfen, habe endlich zu Erfolg geführt, so Campillai, die seit Beginn ihrer Amtszeit auf der Seite dieser Gefangenen steht.

Auch Innenministerin Carolina Tohá verteidigte die Entscheidung des Präsidenten und kritisierte den Rückzug der rechten Parlamentarier:innen aus der Kommission für Sicherheit. "Andere Präsidenten haben diese Befugnis deutlich weitreichender genutzt", so Tohá. Sie erinnerte daran, dass der ehemalige Präsident Sebastián Piñera Personen begnadigte, die wegen Menschenrechtsverbrechen verurteilt wurden.

Die Begnadigung sei wichtig gewesen, um "den sozialen Frieden wieder herzustellen", sagte Tohá weiter. Der soziale Aufstand von 2019 habe die Gesellschaft gespalten und die Freilassung sei ein Teil der Wiedergutmachung. Zugleich versicherte sie, es gebe derzeit "keine Pläne für weitere Begnadigungen".

Obwohl die Regierung versucht, das Thema hinter sich zu lassen, bleibt die Opposition hartnäckig. Trotz Rücktritt der Ministerin, beharren die rechten Parteien auf der Verfassungsklage, die im schlimmsten Fall zu einem temporären Verbot gegen Rios führen könnte, politische Ämter zu bekleiden.

Derweil verursachten die Begnadigungen laut dem rechtslastigen Umfrageinstitut Cadem eine starke Ablehnung gegen die Politik des Präsidenten. Erstmals seit Beginn seiner Amtszeit sagten 70 Prozent der Befragten, sie seien mit seiner Politik nicht einverstanden. Damit verliert die Regierung scheinbar weiteren Rückhalt, um politische Reformen voranzutreiben.