Im Chaos von Haiti organisiert sich politischer Protest

Immer mehr politische Akteure fordern Präsidentschaftswahlen. Premierminister Ariel Henry hält am Amt fest. Ankunft internationaler Polizeitruppe ungewiss

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Die Polizeichefs von Kenia, Japhet N. Koome (links) und Haiti, Frantz Elbe, trafen sich im Dezember 2023 in Nairobi zur Besprechung des Einsatzes
Die Polizeichefs von Kenia, Japhet N. Koome (links) und Haiti, Frantz Elbe, trafen sich im Dezember 2023 in Nairobi zur Besprechung des Einsatzes

Port-au-Prince. In der Hauptstadt von Haiti und anderen Städten ist es erneut zu politischen Protesten gekommen, deren Organisationsgrad zunimmt. Die Demonstrierenden fordern Präsidentschaftswahlen, den Rücktritt von Premierminister Ariel Henry, der nach der Ermordung von Jovenel Moïse 2021 das Land faktisch regiert, und Maßnahmen gegen die ausufernde Kriminalität, die schon zur Vertreibung von Tausenden Menschen geführt hat.

In einer dreitägigen Mobilisierung entlud sich der angestaute Unmut in massenhaften und zum Teil gewaltsamen Protesten. Gestürmte Regierungsgebäude, Straßensperren sowie mehrere Tote sind die Bilanz.

Die Entsendung einer internationalen Polizeitruppe kommt indessen nicht voran.

Bereits im Oktober 2023 hat der UN-Sicherheitsrat, bei Enthaltung von China und Russland, die Entsendung einer internationalen Polizeimission unter Führung von Kenia beschlossen, um die Sicherheitslage zu verbessern (amerika21 berichtete). Der haitianische Außenminister begrüßte den Beschluss, der in der Bevölkerung und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen jedoch größtenteils auf massive Ablehnung stößt.

Der Einsatz ausländischer Polizeikräfte unter Führung Kenias ist vorerst in Frage gestellt, weil das Oberste Gericht des ostafrikanischen Landes ihre Entsendung als verfassungswidrig verworfen hat. Laut Verfassung ist ein Auslandseinsatz nur möglich, wenn eine bilaterale Vereinbarung zwischen Kenia und dem Gastland existiert.

Die Regierungen von Kenia und Haiti holen dies gerade eilends nach. Vom 12. bis 14. Februar weilten Delegationen beider Länder in Washington und widmeten einen Tag der geforderten bilateralen Absichtserklärung. Das Treffen diente auch der Erörterung des Einsatzkonzepts der Mission, der Logistik, der Kontrolle sowie Menschenrechtsfragen.

Die Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten der USA, Victoria Nuland, schloss die jeweiligen Sitzungen. Laut einer Pressemitteilung der Regierung von Haiti legten die Teilnehmer eine Frist für die Ankunft der kenianischen Polizeikräfte zur "Unterstützung für die haitianische Nationalpolizei zur Wiederherstellung der Sicherheit in Haiti" fest.

Immer mehr politische Akteure in Haiti lehnen den Verbleib des Premierministers im Amt ab. Sie machen ihn für die Zunahme von Bandengewalt und Unsicherheit sowie für Verarmung und verbreiteten Hunger verantwortlich.

In einem Auftritt nach den Protesttagen erneuerte Henry seine Position, dass für Wahlen zunächst die Sicherheit im Land wiederhergestellt werden müsse. Sein Mandat, das er 2021 nach der Ermordung seine Vorgängers ohne Wahl angetreten hatte, endete am Mittwoch gemäß einer Vereinbarung, die im Dezember 2022 mit Vertretern politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Privatunterunternehmen sowie unter internationaler Schirmherrschaft unterzeichnet worden war. Dieses Abkommen erwähnte Henry in seiner zehnminütigen Rede nicht.

Die Hintergründe des Präsidentenmordes sind unterdessen nicht aufgeklärt, obwohl die Ausführenden und einige Drahtzieher identifiziert und abgeurteilt wurden. In Miami wurde ein ehemaliger Agent der US-Drogenbehörde DEA wegen Beteiligung an dem Anschlag zu lebenslanger Haft verurteilt. Gleich nach dem Mord übernahm Henry die Regierungsgeschäfte mit dem Versprechen, innerhalb von zwei Jahren Präsidentschaftswahlen anzusetzen.

Das Land ist wegen ausufernder Bandenkriminalität in erheblichen Teilen unregierbar geworden. Schwerbewaffnete Gruppierungen, mit vor allem aus den USA eingeschmuggelten Waffen ausgerüstet, haben ganze Stadtteile unter Kontrolle und breiten sich aus. Im Dezember 2023 mussten 310.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen und kämpfen seitdem ums Überleben. Es fehlen Lebensmittel, Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen. Dies kann nur zum Teil durch Hilfslieferungen abgemildert werden.

Ein Einsatz von UN-Blauhelmtruppen zwischen 2004 und 2017 hatte einen katastrophalen Ausgang. Die Vereinten Nationen mussten durch die Interventionstruppe gemeinschaftlich verübte Vergewaltigungen einräumen, ein Massenausbruch von Cholera, an der etwa 600.000 Menschen erkrankten, wurde von nepalesische Blauhelm-Soldaten verursacht. Der Einsatz brachte keine Erfolge, hinterließ aber in der Bevölkerung eine massive Ablehnung und wurde nach 13 Jahren abgebrochen.