Haiti / Politik

Die Zeit der internationalen Pläne für Haiti könnte vorüber sein

Nachfolger für Premier Henry ernannt. Caricom, USA, Frankreich und Kanada wollen schnell "präsidialen Übergangsrat". Ablehnung von auswärtiger Intervention im Land erheblich

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Bewaffnete Gruppen in Haiti, die vehement zurückweisen, Teil des Bandenunwesens zu sein
Bewaffnete Gruppen in Haiti, die vehement zurückweisen, Teil des Bandenunwesens zu sein

Port-au-Prince. Mit der Ernennung von Michel Patrick Boisvert zum Interimspremier ist in Haiti eine Entschließung des Treffens der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) umgesetzt worden. Caricom tagte am Montag in Kingston, Jamaika, im Beisein von Vertretern Frankreichs, Kanadas und der USA.

Letztere hatten die Unterstützung für den Vorgänger im Amt, Ariel Henry, erst vor wenigen Tagen zurückgezogen. Dieser konnte aufgrund wachsenden Aufruhrs in Haiti, der seinen Rücktritt erzwang, von einer Auslandsreise nicht mehr zurückkehren.

Nach dem Caricom-Treffen drückte die US-Regierung ihre Erwartung aus, dass die Ernennung eines neuen haitianischen Premierministers "ohne weitere Verzögerung" stattfinden werde. Die Einsetzung von Boisvert, die das US-Außenministerium bekannt gab, war Voraussetzung für die internationale Polizeimission unter Führung von Kenia. Das ostafrikanische Land hatte seine Zusage auf Eis gelegt, nachdem Henry, in Puerto Rico gestrandet, seine Funktion als Premier nicht mehr ausüben konnte.

Der neue Premier Boisvert war bisher Finanzminister von Haiti und durchlief seine Ausbildung bei der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Nach Angaben des US-Außenministeriums hat Boisvert seine Unterstützung für die internationale Polizeimission bekräftigt.

Die Pläne, die vom UN-Sicherheitsrat genehmigt und beim Caricom-Treffen in den Mittelpunkt der Lösung für die Krise der Sicherheit und zivilen Versorgung in Haiti gerückt wurden, stehen tatsächlich jedoch in Frage. In der Bevölkerung gibt es nach den traumatischen Erfahrungen der Minustah-Mission (United Nations Stabilisation Mission) in Haiti von 2004 bis 2017 erhebliche Ablehnung. Und die bewaffneten Gruppierungen, die bereits die Rückkehr des bisherigen Premiers Henry vereitelten, haben entschiedenen Widerstand gegen die internationale Intervention angekündigt.

Die Koalition "Viv Ansanm" (Zusammen leben), zu denen auch der Anführer der bewaffneten G9, Jimmy Cherizier, gehört, ist angetreten, die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung zu verbessern und "das Land zu befreien".

In den USA hängt die Genehmigung einer Finanzhilfe für die internationale Polizeimission, die Außenminister Antony Blinken auf der Tagung der Caricom angekündigt hatte, noch von mehreren Berichten ab, die Mitglieder der Republikanischen Partei angefordert haben.

Sie beten die Regierung von Präsident Joe Biden um einen Aktionsplan für den Einmarsch der multinationalen Truppen, um einen Bericht über die Bildung des Übergangsrates, der die Durchführung von Wahlen in Haiti leiten soll, sowie um einen Bericht über die Verwendung der Gelder für die militärische Ausbildung in Kenia.

Dazu gehört auch eine Anhörung, bei der die Drogenbekämpfungsbehörde (DEA), der Auslandsgeheimdienst CIA, die Bundespolizei FBI und weitere Behörden der USA Kongressmitgliedern Einschätzungen über die Lage in Haiti vorlegen werden.

Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Genehmigung der internationalen Polizeimission für Haiti enthielten sich Russland und China. Kuba als karibischer Anrainerstaat von Haiti erklärte, dass das Krisenland andere Unterstützung als eine bewaffnete Intervention bräuchte (amerika21 berichtete).

Unmittelbar nach den Beschlüssen der Caricom demonstrierten Menschen vor der kanadischen Botschaft in Port-au-Prince, um gegen die Pläne für die Nachfolge von Henry zu protestieren. Kanada gehört neben den USA und Frankreich zu den wichtigsten Akteuren der haitianischen Politik. Demonstrierende mit Transparenten errichteten brennende Barrikaden auf den Straßen.

Die Ablehnung artikulierte sich ungeachtet einer Ausgangssperre und des scharfen Verbots öffentlicher Kundgebungen. Das Dekret über den Ausnahmezustand vom 6. März ist inzwischen um einen Monat verlängert worden, "um die Ordnung wiederherzustellen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen". Es gibt keine Anzeichen, dass die Polizei dazu in der Lage ist.

Vor Tagen bereits haben die USA, Deutschland und die Europäische Union (EU) das Personal ihrer Vertretungen in Haiti teilweise oder ganz aus dem Land gebracht. Die staatlichen Sicherheitskräfte können Aufruhr und eine große Anzahl bewaffneter irregulärer Gruppen nicht kontrollieren. Der Hafen von Port-au-Prince ist umkämpft, sodass Dutzende von Containern mit lebenswichtigen Gütern liegen geblieben sind und den Geschäften die Waren ausgehen.

"Angesichts der dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage haben wir beschlossen, unsere Aktivitäten vor Ort zu reduzieren", erklärte die EU in einer Erklärung. Das Personal der EU in Port-au-Prince sei "an einen sichereren Ort außerhalb des Landes verlegt" worden.

Unmittelbar zuvor trafen bereits Marinesoldaten der US-Armee ein, um die diplomatische Vertretung der USA zu sichern. Einige der Mitarbeiter sollen mit einem Hubschrauber ausgeflogen worden sein.

Die Kämpfe in der Nähe der US-Botschaft und des Flughafens sollen der Anlass zu diesen Maßnahmen gewesen sein.

Ein Teil der deutschen diplomatischen Vertretung verließ ebenfalls das Land. An Bord eines Evakuierungsfluges am Sonntag befand sich laut CNN auch der deutsche Botschafter Peter Sauer. Mit mindestens einem Flug wurden US-amerikanische, kanadische und französische Staatsangehörige ausgeflogen.

Die französische Botschaft in Haiti rief ihre verbliebenen Bürger auf, äußerste Vorsicht walten zu lassen und ihre Bewegungen einzuschränken.

Laut einer aktuellen Meldung prüfen die US-Behörden, ob ihr berüchtigtes Internierungslager Guantanamo geeignet sein könnte, vor Kämpfen in Haiti flüchtende Menschen aufzunehmen.