Mexiko-Stadt. Die 62-jährige Physikerin und Politikerin Claudia Sheinbaum von der linksgemäßigten Nationalen Erneuerungsbewegung (Morena) übernimmt von ihrem Vorgänger und engen politischen Verbündeten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) das Präsidentenamt. Die vorgezogene Amtseinführung am 01. Oktober verfolgten Millionen Menschen in Mexiko in den Medien.
Gegen 11 Uhr erreichte der scheidende Präsident AMLO den Kongress in Mexiko-Stadt und wurde von den Abgeordneten der Morena-Partei empfangen, die ihm für seine Amtszeit dankten. Um 11:30 Uhr traf auch Sheinbaum im Kongress ein, legte ihren Amtseid ab und übernahm das Präsidentenamt von der Kongresspräsidentin. Erstmals in der Geschichte Mexikos standen weibliche Mitglieder der Nationalgarde hinter dem Rednerpult.
In ihrer etwa 40-minütigen Rede bedankte sich Sheinbaum bei ihren politischen Unterstützer:innen. Sie betonte, dass Mexiko eine politische Transformation für Frauen brauche und sich ihre Politik gegen Klassismus, Machismus und Rassismus richte und sie sich für Klimaschutz und Gleichheit einsetzen werde. Zudem wolle sie die Wertschätzung von Arbeiterinnen stärken.
An der Amtseinführung im Palacio de San Lázaro in Mexiko-Stadt nahmen unter anderem der brasilianische Präsident Lula da Silva, der chilenische Präsident Gabriel Boric, die US-amerikanische First Lady Jill Biden sowie der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff als Vertreter für Frank-Walter Steinmeier teil.
Der spanische König Felipe VI. war nicht eingeladen. Grund hierfür ist, dass er sich 2019 auf Bitte Mexikos nicht für Kolonialverbrechen Spaniens in Mexiko entschuldigt hatte. Der russische Präsident Wladimir Putin war seiner Einladung nicht nachgekommen.
Gegen 16 Uhr trat Sheinbaum, die bisher Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt war, bei einer Kundgebung im Zentrum der Hauptstadt auf. Ihrer Rede voraus ging eine Zeremonie indigener Völker, auf der Bühne waren Vertreter:innen der insgesamt 60 indigenen Völker Mexikos anwesend. In ihrer Rede verteidigte sie, unter Applaus der Anwesenden, die Verabschiedung der umstrittenen Justizreform. In den letzten Wochen hatte der Senat in Rekordzeit die dafür notwendigen Verfassungsänderungen verabschiedet. An der Justizreform, die künftig die direkte Wahl der obersten Richter durch die Bevölkerung vorsieht, hatten unter anderem die USA scharfe Kritik geäußert (amerika 21 berichtete).
In insgesamt 100 Punkten stellte sie die Eckpunkte ihrer Politik vor, die den "vierten Transformationsprozess" ihres Vorgängers AMLO fortsetzen sollen. Sie strebe eine Verfassungsreform an, die ab 2030 jegliche Wiederwahl von gewählten Amtsträgern verhindern soll. Sheinbaum versprach weitere Verbesserungen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem, Zugang zu "Impfungen, Ärzten und kostenloser Medizin für alle Mexikaner ab der Geburt" sowie Stipendienprogramme und Ausbau der "Kunst- und Musikerziehung an allen öffentlichen Schulen".
Es werde "keine Rückkehr zum Neoliberialismus" und "Privatisierungen" geben, dafür aber den Ausbau der Industrie, "100 neue Industrieparks". Beispielsweise in der Ölförderung setze sie auf "nationale Produktion" und privat-staatliche Allianzen, bei "51 Prozent staatlicher Anteile". Ein Ausbau des Schienen- und Straßennetzes sei geplant, ausdrücklich erwähnte sie auch den umstrittenen Tren Maya, sowie Umweltschutzprogramme. Als letzten Punkt sprach sie die Sicherheitslage an. Es gäbe keine "Rückkehr zum unverantwortlichen Drogenkrieg". Kampf gegen Kriminalität sei aber "keine Militarisierung", hielt sie Kritikern entgegen. Die Armee werde "nie zur Unterdrückung des Volkes eingesetzt".
Sheinbaums Amtsantritt markiert das Ende einer intensiven Zeit des Wahlkampfs und der politischen Auseinandersetzungen. Mit fast 100 Millionen Wahlberechtigten gilt die diesjährige Präsidentschaftswahl als die größte in der Geschichte Mexikos. Die Wahlen waren bereits im Vorfeld von massiver Gewalt überschattet. Mindestens 37 Lokalpolitiker:innen wurden im Kampf um die Kandidaturen seit September 2023 ermordet. Einige Nicht-Regierungsorganisationen kommen auf noch höhere Zahlen. Die Gewalt wird vor allem auf die verstärkte Einflussnahme von Drogenkartellen auf die Politik zurückgeführt.
Die neue Präsidentin Sheinbaum, die angekündigt hat, die politische Linie ihres Vorgängers fortzusetzen, steht nun vor einer Reihe großer Herausforderungen. Mexiko leidet weiterhin unter schwerer sozialer Ungleichheit, hoher Jugendarbeitslosigkeit, Machismus und wiederkehrenden Naturkatastrophen.
Unter AMLO wurden Gesetze verabschiedet, die die Rechte der Arbeitnehmer:innen stärkten. Aktuell debattiert der Senat über eine Rentenreform, die es Arbeitnehmer:innen ermöglichen soll, mit 100 Prozent ihres letzten Gehalts in den Ruhestand zu gehen. Zusätzlich plant Sheinbaum eine Entscheidung im Kongress über die Einführung eines Kindergeldes.