Senat in Chile unterstützt umstrittenes "modernisiertes Rahmenabkommen" mit der EU

Neuer Vertrag kommt EU-Interessen an chilenischen Ressourcen für Energiewende entgegen. Bündnis kritisiert neokoloniale Unterwerfung

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Können zufrieden sein: Boric und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Können zufrieden sein: Boric und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Santiago. Der Senat in Chile hat für das viel kritisierte modernisierte Handelsabkommen mit der Europäischen Union gestimmt. Der Vertrag war von der Regierung unter Präsident Gabriel Boric als "dringlich" in den parlamentarischen Prozess eingebracht worden.

Die Abstimmung am 13. November, bei der 38 Senatoren bei einer Enthaltung das Abkommen unterstützten, löste heftige Reaktionen im Land aus. Das chilenische Bündnis "Mejor sin TLC" (Besser ohne Freihandelsabkommen) bezeichnete das Agieren von Senat und Regierung als klares Zeichen für neokoloniale Unterwerfung.

Die neue Vereinbarung soll das alte Assoziierungsabkommen aus dem Jahr 2002 ersetzen. Besonders der Handelsteil zog in den letzten Monaten viel Kritik auf sich. Das Abkommen hat laut seinen Unterstützern das Ziel, 99 Prozent des Handels zwischen beiden Partnern zollfrei abzuwickeln und das Handelsvolumen zu steigern.

Gerade aber das Verfahren für die Abstimmung im Senat wurde von Kritikern mit Argwohn beobachtet, denn die von der Regierung angewandte "dringliche Einbringung" in den gesetzgeberischen Prozess führte zu einer kürzeren Debatte im Parlament und einer vorrangigen Behandlung vor anderen Gesetzesvorhaben. Die Praxis wird seit einiger Zeit wegen der Machtfülle der Exekutive heftig diskutiert, die sich aus der Pinochet-Verfassung von 1980 ableitet. Der Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mag Boric zu diesem Schritt bewegt haben.

"Mejor sin TLC" kritisiert, dass der neue Vertrag dem europäischen Interesse an chilenischen Ressourcen für seine "Energiewende" unterliege und man das eigene Lithium, das Wasser und die Energie in Form von grünem Wasserstoff verschenke sowie die Zerstörung der Natur ignoriere. Die Politik müsse sich den Investoren unterordnen und man riskiere, die Ernährungssouveränität und die energetische Autonomie des Landes zu verspielen. Die Senatoren hätten für eine Fortsetzung und Vertiefung des extraktivistischen und neoliberalen Modells gestimmt, das nicht auf die sozialen, gewerkschaftlichen und ökologischen Belange eingehe und zu mehr Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit führe.

Besonders negative Aufmerksamkeit zogen die politischen Vereinbarungen im Abkommen auf sich. Die veränderte Ausschreibung öffentlicher Aufträge führe zu einer verschlechterten Marktsituation für chilenische Unternehmen, die sich nicht mit ihren europäischen Konkurrenten messen könnten. Der Vertrag verpflichte Chile außerdem, mit der EU in Konflikten, in denen diese verwickelt ist, zusammenzuarbeiten.

Die inhaltliche Debatte im Senat setzte einen starken Fokus auf das steigende Handelsvolumen. Die Parlamentarier würdigten die Tatsache, dass "Chile 34 Freihandelsabkommen hat und dass der Handel mit der EU in den letzten Jahren um das 2,4-fache gestiegen ist". Sie lobten auch die Konsolidierung der Exporte von Waren und Dienstleistungen, die jedes Jahr dank niedriger Zölle zunehme.

Die Unterstützung des Rahmenabkommens durch den Senat bedeutet das Ende des parlamentarischen Prozesses, sodass die nicht ratifizierungspflichtigen Teile sofort in Kraft treten können. Das Land vertieft damit seine Beziehungen zur EU.

Unterdessen forciert die EU auch Abkommen mit Mexiko und den Staaten des Mercosur, bisher aber noch ohne Erfolg. Die Offensive der Europäer in Lateinamerika dokumentiert das Ringen um Einfluss in der Region und den Versuch, den Rückstand gegenüber den USA und China zu verringern.

Brisant ist in diesem Kontext, dass das neue Rahmenabkommen Chile nun dazu verpflichtet, der EU für Schlüsselrohstoffe wie Lithium, Kupfer und seltene Erden Vorzugspreise zu gewähren. Mit einem Weltmarktanteil von 23 Prozent bei der Kupferförderung und von 24 Prozent beim Lithium besitzt das Land eine große Bedeutung beim Abbau strategisch wichtiger Ressourcen. Aufgrund der Vereinbarung könnten keine besseren Verträge zu positiveren Konditionen mehr mit anderen Nationen, wie etwa dem wichtigsten Handelspartner China, geschlossen werden, ohne dass die EU denselben Vorzugspreis gewährt bekomme.

Nach Artikel 8 Absatz 5 des Kapitels über Rohstoffe und Ausfuhrpreise kann Chile die Wertschöpfung durch die Lieferung von Rohstoffen zu Vorzugspreisen an Industriezweige fördern, damit diese Rohstoffe in Chile bezogen werden können, sofern diese Maßnahmen die in Anhang II dieses Kapitels genannte Bedingung erfüllen. Diese lautet, dass "die Fähigkeit der Europäischen Union, sich mit Rohstoffen aus Chile zu versorgen, nicht beeinträchtigt wird".

Also darf die Wirtschaft Chiles nur von Vorzugspreisen für Rohstoffe aus dem eigenen Land profitieren, wenn diese von der EU nicht benötigt werden.

Gleichzeitig könnten die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen auf Chile viel geringer sein, als letztlich erhofft. Patricio Véjar Mercado geht in einer Analyse davon aus, dass das Abkommen im besten Fall eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 0,175 Prozent zur Folge hätte. Die konservativere Schätzung geht sogar nur von 0,09 Prozent aus.