Die Pflanzen legalisieren, die Drogen bekämpfen

Mexiko, ein von uralten Kulturen bewohntes Land, beginnt die Debatte um ein Regelwerk zur Legalisierung von Drogen

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"Tag des Koka-Kauens" in Bolivien: Die MAS-Regierungen setzen sich seit Jahren international für die Entkriminalisierung des traditionellen und kulturellen Gebrauchs von Koka-Blättern ein
"Tag des Koka-Kauens" in Bolivien: Die MAS-Regierungen setzen sich seit Jahren international für die Entkriminalisierung des traditionellen und kulturellen Gebrauchs von Koka-Blättern ein

Eine einfache Unterscheidung kann die Debatte in Mexiko ordnen: Drogen und Pflanzen dürfen nicht verwechselt werden. Vielmehr sind sie, was spirituelle Heilung angeht, Antagonisten. Deshalb ist die Legalisierung der Pflanzen der erste Schritt, die Drogen zu bekämpfen.

Mexiko, ein von uralten Kulturen bewohntes Land, ist dabei, in eine Debatte um ein Regelwerk einzutreten, mit dem Drogen legalisiert werden sollen.

So definiert, erscheint die Diskussion zu eng, reduziert auf die Prämissen westlichen Konsumdenkens. Es könnte das Thema besser beleuchten, sich die Sichtweise der alten Kulturen auf den Gebrauch von Substanzen zu vergegenwärtigen.

Drogensucht, ein modernes Phänomen

Die Drogensucht ist unbedingt ein Phänomen der Industriegesellschaft. Der Gebrauch von Substanzen, die das Bewusstsein verändern, begegnet uns in allen Kulturen und in allen Zeiten: Alkohol, Tabak und psychoaktive Pflanzen stehen im Zentrum religiöser Rituale und kollektiver Praktiken, die alle die Absicht haben, den Individualismus zu überwinden und mit anderen Ebenen der Realität in Verbindung zu treten. Die anthropologische Bedeutung dieses für die menschliche Natur allgemeinen Verhaltensmusters ist weithin unbekannt.

Alles in allem existieren in den traditionellen Gesellschaften keine Abhängigkeiten mit erheblichem Krankheitswert. Der Gebrauch "magischer" Substanzen ist durch ihren rituellen Gebrauch reguliert – kontrolliert durch Schamanen, Autoritäten oder Priester – und durch die zyklische und eingeschränkte Verfügbarkeit dieser Substanzen an die Natur und ihre Jahreszeiten gebunden.

Die kapitalistische Industriegesellschaft hat mit dem Missbrauch dieser Substanzen ein Problem geschaffen, und zwar durch drei Faktoren: durch die künstliche Vervielfachung der Optionen – viele davon mit einer hohen Konzentration an Giften und einem hohen Abhängigkeitspotential; durch die Schaffung eines Marktes, der für kontinuierlichen Nachschub sorgt (für die, die dafür bezahlen können); und durch die Abtrennung ihres Gebrauchs von der rituellen Bedeutung, die sie in den traditionellen Gesellschaften hatten.

So verwandelten sich die Zustände veränderten Bewusstseins, die in einer kontrollierten Umgebung Heilkraft und therapeutischen Wert haben, in einen Akt einsamen und zwanghaften Konsums, seiner spirituellen Bedeutung beraubt; ein Laster, das den Körper und den Geist von Millionen Menschen krank macht, die ein umfassendes Gefühl der Bindungslosigkeit zu lindern versuchen.

Die Substanzen und ihren Konsum zu kriminalisieren, verschlimmert sicherlich das Leiden der Menschen, vergrößert die Macht der Drogenkartelle und beweist eine tiefe Ignoranz gegenüber den Wurzeln des Problems.

Dieses Problem dem strafrechtlichen und polizeilichen Bereich zu entziehen ist ein erster Schritt, um die unerwünschten Folgen einer prohibitionistischen Politik zu vermeiden.

Allerdings beantwortet diese einfache Maßnahme nicht alle Fragen. Unbeschränkte Legalisierung von Produktion, Vermarktung und Konsum jeglicher Substanz? Und wenn nicht alle legalisieren, welche ja und welche nicht ?

Die Pflanzen legalisieren: eine Respektierung des Heiligen

Es gibt eine einfache Unterscheidung, die die Diskussion ordnen kann und wo sich das Wissen der alten Kulturen und die moderne Wissenschaft die Hand reichen.

Bestimmte Pflanzen zu verbieten ist ein absurder anthropozentrischer Anspruch. Das ist, als würde man das Meer, den Wind oder die Berge für illegal erklären. Es heißt zu verkennen, dass es in dem empfindlichen Gewebe von Wesen und Wechselwirkungen, die wir Ökosysteme nennen, Umstände und Gleichgewichte gibt, die jenseits unseres Verstandes liegen. Vor dieser heiligen Ordnung empfiehlt sich die Vorsicht als klügste Verhaltensweise.

Der Gebrauch von Pflanzen sollte nicht Gegenstand menschlicher Gesetze sein, über diejenigen hinaus, die jahrtausendealtes Wissen vermitteln oder einen breiten Konsens haben. Die Beziehung, die wir zu bestimmten Pflanzenarten unterhalten, muss dem freien Willen jedes Individuums und jeder Gemeinschaft in der Verflechtung von alten und modernen Kulturen entsprechen, die die Welt von heute ausmachen.

Dieses einfache Prinzip ermöglicht es, mehrere nutzlose und irreführende parlamentarische Debatten auf einmal zu klären und die Ansprüche einiger Konzerne, die Nutzung der Natur zu regulieren und zu patentieren, auseinanderzunehmen.

Die Pflanzen legalisieren, in allgemeiner Form und als universelles Prinzip, erlaubt es, die Absichten der Pharmakonzerne zu durchkreuzen, medizinische Pflanzen zu verbieten oder ihren Gebrauch zugunsten privater Interessen und zum Nachteil der menschlichen Freiheiten zu regulieren.

Die Pflanzen legalisieren löst auch ein für allemal sämtliche Kontroversen um den Gebrauch von Marihuana, Ayahuasca, Peyote, Pilzen und anderen psychoaktive Pflanzen.

Alte Grundsätze, moderne Wissenschaft

Die unendlichen Debatten um schädliche oder nützliche Wirkungen dieser Pflanzen lösen sich auf, indem wir uns wieder an einfache Grundsätze alten Wissens erinnern, die wir vergessen haben und an Erkenntnisse moderner Wissenschaft, die wir anscheinend ignorieren wollen.

Vor Jahrhunderten definierte der ausgezeichnete Paracelsus: "Nichts ist Gift, alles ist Gift. Die Dosis macht den Unterschied."

Weniger lange her fasste Gregory Bateson dasselbe Prinzip in wissenschaftlichen Begriffen: "In der Biologie gibt es keine einförmigen Werte".

Für den Stoffwechsel von Lebewesen ist keine Substanz an sich gut oder schlecht. Ihre Wirkung hängt von den unteren und oberen Grenzwerten bei der Anwendung ab.

Das erklärt, weshalb – in gleicher Weise wie manche industrielle Drogen – das Marihuana einmal ein effizientes Antidepressivum sein kann und ein anderes Mal ein Verstärker der Depression. Oder wieso es sich für manche in ein Gefängnis der Abhängigkeit verwandelt und für andere in ein Werkzeug für ein besseres Leben.

Psychoaktive Pflanzen werden häufig stigmatisiert, haben jedoch eine enorme therapeutische Heilkraft. Die Zeremonien von Ayahuasca, Peyote und anderen aus alten Kulturen überlieferten Pflanzen beheben Ängste, Furcht und tiefe Traumata. Aufgrund des Tabus im Hinblick auf ihren Gebrauch und die zwiespältige Gesetzeslage ist ihre Verwendung in urbanen Gebieten reduziert, obwohl man damit zunehmend in professionellen Behandlungen experimentiert.

Pflanzen, die veränderte Bewusstseinszustände hervorrufen, dürfen nicht leichtsinnig verwendet werden. Ihr Gebrauch bringt potentielle Gefahren mit sich in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und andere Aspekte, die ihre Überwachung in kontrollierter Umgebung anraten. Ihre Legalisierung darf nicht als fröhlicher Aufruf wahrgenommen werden, sie in eine Handelsware des täglichen Gebrauchs zu verwandeln.

Allerdings bietet die Legalisierung der Pflanzen als Teil der allgemeinen Gesundheitspolitik einen zusätzlichen Schutz: im Vergleich zu Drogen und dem Alkohol bringen sie eine unendlich geringere chemische Gefahr mit sich. Die Erfahrung zeigt, dass die Pflanzen ihren eigenen Regulierungsprozess gegen Exzesse mitbringen, der nicht die Spirale zwanghaften Konsums provoziert, die man bei Drogen und Alkohol beobachten kann.

Als zusätzlicher Punkt muss erwähnt werden, dass die Grenze, die die "ursprünglichen" Pflanzen von den Designerpflanzen und den durch industrielle Bearbeitung von Naturprodukten gewonnenen Drogen trennt, in dieser Zeit genetischer Manipulation auf allen Ebenen unscharf geworden ist. Diese noch offene Debatte bringt uns zum zweiten Punkt der Problemstellung.

Die Drogen bekämpfen: ein kultureller Umschwung

In der westlichen Gesellschaft geht das Verbot der psychoaktiven Pflanzen und die Illegalisierung bestimmter Drogen einher mit einer paradoxen Förderung des generalisierten Gebrauchs legaler Drogen als vorherrschende Gesundheitspolitik, auf Kosten von metabolischen und naturheilkundlichen Therapien.

Es gibt einen trügerischen Diskurs rund um die "Sicherheit" und "Effizienz", die diese Strategie den Kranken bietet. Die auf Medikamente zentrierte Medizin bezieht ihre Macht aus einem Netz von Interessen, die diesen Weg auf quasi allen Ebenen als "einzigen Weg" durchsetzen und hat den medizinischen Komplex in eine reale Macht verwandelt. Aber seine Sicherheit ebenso wie seine Effizienz müssen in Frage gestellt werden. In den USA ist die Iatrogenie – also der Tod des Patienten als Folge medizinischer Behandlung – die dritthäufigste Todesursache nach Krebs und Infarkt. Die Rede ist nicht von Todesfällen durch schlechte Berufsausübung oder aufgrund von Missverständnissen bei der Befolgung von Instruktionen durch die Kranken, sondern es geht um Todesfälle durch buchstabengenaue Befolgung der Behandlung, sei es durch Nebenwirkungen, Irrtümer bei der Erstellung der Diagnose oder vermeidbare Komplikationen.

Das heißt, dass die legalen Drogen, eingeschlossen die unter professioneller Aufsicht angewendeten, mindestens so gefährlich sind wie die illegalen. Müssen wir also angesichts dieser Statistiken die Arzneimittel und die medizinische Forschung im Bereich des Drogengebrauchs verbieten?

Offensichtlich nicht. Neben den Opfern erlangen Millionen Menschen Linderung und Heilung durch Behandlungen auf Basis von Medikamenten.

Es geht darum, sichtbar zu machen, dass die prohibitionistischen Politiken gegenüber gewissen Substanzen kein Fundament in angeblichen "Gefahren" haben; und wenn es darum gehen sollte, müsste man einen enormen Prozentsatz an Medikamenten mit einem hohen toxischen Potential und die Ausübung der Schulmedizin selbst verbieten. Ganz zu schweigen von Alkohol, der die Liste der schädlichen Wirkungen, der Unfälle und der von Missbrauch verursachten Krankheiten anführt.

Es geht auch darum, eine umfassendere Sicht auf das Problem mit den Drogen – sowohl legalen als auch illegalen – zu entwickeln und die Unterscheidung zu den Pflanzen in die richtige Perspektive zu stellen.

Die Pflanzen legalisieren, die Drogen bekämpfen

Drogenbekämpfung bedeutet nicht nur eine Schlacht gegen den Missbrauch chemischer Drogen wie Kokain, Heroin und anderer Drogen, sondern auch gegen eine Kultur, die den Gebrauch von Antidepressiva, Angstlösern und Schlafmitteln heiligt. Es ist absurd festzustellen, dass dieselbe Kultur gleichzeitig heilige Elemente aus der Welt der Natur kriminalisiert, deren Risiken und Gegenindikationen unvergleichlich geringer sind.

Die Pflanzen legalisieren ist ein einfaches Prinzip, das die Gewalt der Polizeikontrolle gegenüber Personen verringert. Es ist ein Mittelweg zwischen dem Polizeistaat, der mit seinem Zoll, seinen Vorschriften und seinen Listen "verbotener" und "erlaubter" Substanzen alles kontrollieren will, und der unverantwortlichen Freigabe eines Supermarktes giftiger Substanzen im Namen eines individuellen Rechts auf Betäubung.

Drogen und Pflanzen dürfen nicht verwechselt werden. Mehr noch, in Kontexten der spirituellen Heilung sind sie Antagonisten. Pflanzen als verbündete Wesen wahrzunehmen, die den Menschen auf seinem Weg begleiten und ihren Gebrauch in gegenseitiger Fürsorge mit therapeutischen Zielen zu lehren, kann der erste Schritt sein, der uns den Weg öffnet zu neuen Antworten, um die verheerenden Folgen von Abhängigkeiten zu bekämpfen.

Claudio Fabián Guevara, Journalist und Forscher aus Argentinien. Promovierte an der Universität von Guadalajara über die Themen Nachhaltigkeit, Entwicklung und Tourismus.