Oberstes Gericht von Venezuela erklärt Amnestiegesetz für ungültig

Gesetzesprojekt für Amnestie verfassungswidrig. Opposition reagiert empört. Maduro setzt Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit ein

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Sitz des Obersten Gerichtes von Venezuela in Caracas, Venezuela
Sitz des Obersten Gerichtes von Venezuela in Caracas, Venezuela

Caracas. Das Oberste Gericht Venezuelas (TSJ) hat ein von der rechten Oppositionsmehrheit im Parlament verabschiedete "Gesetz über Amnestie und Nationale Versöhnung" für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz war am 29. März verabschiedet worden und sah eine Amnestie für eine Reihe von mittelschweren und schweren Verbrechen vor, sofern sie im Rahmen von Protesten gegen die Regierung begangen worden sind.

Zwar habe das Parlament das verfassungsmäßige Recht, Amnestien zu erlassen, schreibt die das Gericht in seiner Begründung. Dabei müssten jedoch die grundlegenden Prinzipien der Verfassung Venezuelas respektiert werden, insbesondere der Respekt vor den Menschenrechten, die Aufrechterhaltung des Justizsystems und die Übereinstimmung der Amnestie mit dem Geist der Verfassung. Das Amnestiegesetz verstoße gegen diese Prinzipien, unter anderem indem gewöhnliche Verbrechen und Akte organisierter Kriminalität ebenso von dem Strafnachlass erfasst würden wie politisch motivierte Delikte. Zudem würden die Verfassungsgrundsätze der Legalität, der Tatbestandsmäßigkeit und der Orientierung an Gerechtigkeit verletzt, heißt es in dem Urteil der Verfassungskammer des Obersten Gerichts.

Tatsächlich umfasst die vorgesehene Amnestie eine ganze Reihe schwerer Delikte, darunter Anstiftung zum Gesetzesbruch, Volksverhetzung, Gewalt gegen Behörden, Verbreitung von Panik in der Bevölkerung durch falsche Information, Beschädigung von Verkehrswegen und Verkehrsmitteln, Bildung einer kriminellen Vereinigung, illegaler Besitz und Gebrauch von Feuerwaffen, Verführung von Minderjährigen zur Begehung eines Delikts, Landesverrat, Verrat von militärischen Geheimnissen, Rebellion, militärische Rebellion und Aufruf zur gewaltsamen Erhebung.

Die Bedingung, um von der Amnestie erfasst zu werden, ist, dass ein Delikt im Zusammenhang mit politischen Demonstrationen oder Aktionen "begangen wurde oder hätte begangen werden können", die darauf abzielten, "die institutionelle Ordnung oder die amtierende Regierung" zu verändern. Daraus zog das Oberste Gericht die Schlussfolgerung, dass die Amnestie wesentlich den Geist der Verfassung und der demokratischen Ordnung verletze. Von der Amnestie profitiert hätten unter anderem die Verantwortlichen des Militärputschs gegen die gewählte Regierung von Hugo Chávez am 11. April 2002 und der gewaltsamen Oppositionsproteste im Frühjahr 2014, bei denen 43 Menschen ums Leben kamen.

Das Gesetz war von Juristen, Menschenrechtsgruppen und politischen Organisationen scharf kritisiert worden. Der regierungsnahe Verfassungsrechtler Hermann Escarrá bezeichnete es als "Kriegsgesetz", das geradezu zur Rechtfertigung eines neuen Staatsstreiches herangezogen werden könnte.

Vertreter der Opposition reagierten empört auf das Urteil. Der Präsident der Nationalversammlung (AN) Ramos Allup vom Bündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) bezeichnete die Richterinnen und Richter als "Prostituierte" und das TSJ insgesamt als "verfassungswidrig". Der Gouverneur des Bundesstaates Miranda und Ex-Präsidentschaftskandidat des MUD, Henrique Capriles, kommentierte, die Amnestie hänge nun vom Abwahlreferendum gegen Präsident Nicolás Maduro ab. Die ultrarechte Politikerin María Corina Machado twitterte, das Amnestiegesetz sei "ein Mandat des Volkes" gewesen, das mehrheitlich die Opposition ins Parlament gewählt habe, nun müsse dieses Mandat "durch Druck des Volkes" umgesetzt werden. In der Kampagne für die Parlamentswahlen 2015 war die Amnestie neben der Absetzung der Regierung Maduro Hauptthema des MUD.

Indes hat Präsident Maduro die "Staatliche Kommission für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung für die Opfer und Frieden" eingesetzt. Das erste Zusammentreffen fand gestern im Präsidentenpalast Miraflores in Anwesenheit des Generalsekretärs der Union südamerikanischen Nationen (Unasur), Ernesto Samper statt. Die Kommission wird von Vizepräsident Aristóbulo Istúriz geleitet. Sie soll die Ereignisse und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang des versuchten Putsches im Jahr 2002 sowie der Gewaltaktionen und Zusammenstöße bei Protesten der Opposition nach der Präsidentschaftswahl im April 2013 und in den ersten Monaten des Jahres 2014 untersuchen, als rechte Kräfte zum Sturz der Regierung Maduro aufgerufen hatten. "Der Weg der Wahrheit, der Wiedergutmachung, der Bitte um Verzeihung und der Gerechtigkeit" werde zum Frieden in der Gesellschaft beitragen, so der Präsident. Er betrachte dies als eine der zentralen Aufgaben seiner Regierung und der Gesellschaft. Die Kommission werde "pluralistisch, vielseitig, ausgewogen und gerecht" sein. Auch die Opposition sei ausdrücklich zur Teilnahme eingeladen, sie habe zugesagt und vier Sprecher benannt.

MUD-Fraktionschef Julio Borges dementierte dies gestern: Das Oppositionsbündnis werde sich nicht an "einer angeblichen Wahrheitskommission" beteiligen.

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