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Proteste um Sozialabgaben: Nicaragua zwischen Gewalt und Dialog

Proteste gegen Sozialreform richten sich zunehmend gegen Regierungspolitik der Sandinisten. Mindestens zehn Tote. Präsident Ortega ruft zum Dialog auf

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Gewaltbereite Demonstranten in Nicaragua
Gewaltbereite Demonstranten in Nicaragua

Managua. Angesichts andauernder heftiger Proteste gegen eine Reform der Sozialversicherung hat Nicaraguas Präsident Daniel Ortega zum Dialog und zur Wahrung des Friedens im Land aufgerufen. In Anwesenheit seines Kabinetts sowie der Militär- und Polizeiführung sagte Ortega am Samstag im staatlichen Fernsehen, ein Treffen mit dem Privatsektor sei in Vorbereitung, um die Reform und die Frage der Ausnahmeregelungen zu erörtern. Ein "Runder Tisch" werde eingerichtet, um einen Konsens zu erzielen

Die Jugendlichen, die in diesen Tagen protestierten, hätten das in gutem Glauben getan, um Solidarität mit den Rentnern zu zeigen. Ihre Aktionen seien jedoch von Gruppen genutzt worden, die versuchten, Nicaragua zu destabilisieren, um ungezügelte Gewalt zu befördern, sagte Ortega in seiner Botschaft an die Nation.

Der Unternehmerverband Cosep hatte die Regierung zuvor aufgefordert, zum Dialog zurückzukehren. Zugleich rief der Verband alle Privatunternehmen und Arbeitnehmer zu einem nationalen Protestmarsch für Montag in der Hauptstadt Managua auf.

Am Freitagabend hatte Rosario Murillo, Vizepräsidentin Nicaraguas und Ehefrau von Präsident Ortega, erklärt, dass die Regierung an den Verhandlungstisch mit der Privatwirtschaft zurückkehren wird und zu einer Umgestaltung der Reform bereit ist.

Menschenrechtler der Vereinten Nationen forderten die Regierung auf, von Angriffen auf Demonstranten und Medien abzusehen. "Der nicaraguanische Staat muss seine internationalen Verpflichtungen erfüllen, die Rechte auf Pressefreiheit und zur friedlichen Versammlung zu garantieren", so der Aufruf auf Twitter.

Am vergangenen Montag hatte die Regierung Ortega eine Reform der Sozialversicherung angekündigt, die insbesondere Pensionierte, Unternehmer und Arbeitgeber zu höheren Beiträgen verpflichten soll, um so das schon seit Jahren defizitäre Sozialversicherungssystem zu retten, ohne dabei aber einen integralen Reformansatz zu verfolgen, so Kritiker.

Seit Mittwoch erlebt Nicaragua die bisher gewalttätigsten Auseinandersetzungen unter der Regierung Ortega, der seit 2007 wieder regiert. Landesweit gingen Tausende auf die Straßen, um nicht nur gegen die Reform der Sozialversicherung zu protestieren, sondern vor allem auch um ihre Unzufriedenheit über die Regierung zum Ausdruck zu bringen. Dabei gab es gewalttätige Konfrontationen zwischen Demonstranten und Spezialeinheiten der Polizei. Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben. Die Polizisten sollen neben Tränengas und Gummigeschossen auch scharfe Munition eingesetzt haben. Seitens der Protestierenden wird der Einsatz von "Störtrupps" beklagt, die vor allem von der Sandinistischen Jugend ausgehen sollen.

Landesweit wurden in allen größeren Städten Protestmärsche  durchgeführt – vielerorts von Gegenmärschen des Regierungslagers erwidert. Regierunsgegner blockierten Straßen, griffen Regierungsgebäude an und verübten Brandanschläge auf Radiosender. In Leon und Masaya wurden in der Nacht vom Freitag nach Angaben lokaler Behörden zahlreiche öffentliche Einrichtungen und Autos in Brand gesteckt.

Die Regierung spricht von Vandalismus politisch-rechter Gruppierungen, die das Land destabilisieren wollen. Die Demonstranten dagegen machen regierungsnahe Gruppen dafür verantwortlich, die Chaos stiften und die Stimmung gegen die Protestierenden anheizen sollen. Zielscheibe der Demonstranten waren vorrangig symbolträchtige Objekte wie Flaggen der Regierungspartei Frente Sandinista de la Liberacion Nacional (FSLN), Regierungsplakate und die in den Hauptadern Managuas installierten "Lebensbäume", überlebensgroße Plastiken, die teils in Brand gesetzt, teils umgerissen wurden.

Zu Protesten gegen die Reform und gegen die Regierung kam es auch durch im Ausland lebende Nicaraguaner vor nicarguanischen Botschaften in den USA, Costa Rica und Spanien.