Warum jetzt auch Kolumbien in Aufruhr ist

Eine Million Teilnehmer beim Streik. Ausgangsperren in Cali und Bogotá. Wurden Agents Provocateurs in Wohngebiete gebracht?

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Massenproteste am ersten Streik-Tag in Bogotá, Medellín und Cartagena
Massenproteste am ersten Streik-Tag in Bogotá, Medellín und Cartagena

Bogotá. Nach der gewaltsamen Auflösung von Massendemonstrationen, bei denen am Donnerstag Hunderttausende gegen die Regierung von Präsident Iván Duque protestierten, sind die Menschen spontan zu "Cacerolazos" in ihren Vierteln übergegangen. In Wohngebieten schlugen sie am Streiktag bis in die Nacht hinein mit Kochlöffeln auf Pfannen und Töpfe, um ihren Unmut über die Regierung deutlich zu machen. Auch am Freitag gingen Menschen mit Töpfen und Pfannen auf die Straßen mehrere Städte. Allein am Donnerstag hatten eine Million Demonstranten an dem landesweiten Streik teilgenommen, so die Organisatoren. Laut der Regierung waren es 207.000. Der Bürgermeister von Cali verhängte am Donnerstag eine Ausgangssperre, sein Amtskollege in der Hauptstadt Bogotá folgte dem Beispiel am Freitag.

Zwei Strategien haben die Sicherheitskräfte eingesetzt, um die Mobilisierung der Bevölkerung im Zaum zu halten. Zum einen griffen sie auf die "klassischen" Mittel der Repression zurück. Die berüchtigte Aufstandsbekämpfungseinheit Esmad hat nach Augenzeugenberichten grundlos Demonstranten geschlagen, obwohl diese sich friedlich verhalten haben. Die Sicherheitskräfte haben offiziell über 120 Menschen verletzt und drei unter bislang unklaren Umständen getötet. Allein in Bogotá hat die Polizei bis Freitag 230 Personen verhaftet. Außerdem haben Lokalpolitiker in Bogotá und Cali ihre Städte parallel zur Verhängung der Ausgangsperre stark militarisiert. 7.000 Polizisten und 4.000 Soldaten patrouillierten am Freitagabend alleine in den Straßen der Hauptstadt.

Vertreter der Opposition prangerten zudem eine Panik-Strategie an: Die Polizei selbst, aber auch falsche Profile in den Social Media haben parallel zur Erklärung der Ausgangsperre das Gerücht verbreitet, dass Vandalen massenhaft Wohnungen in Wohnkomplexen der unteren Mittelschicht überfallen und plündern würden. Allerdings haben Einwohner mehrerer Viertel in Bogotá Polizeieinheiten dabei gefilmt, wie sie Dutzende junge Männer – in einigen Fällen Venezolaner – auf Lastern in diese Viertel transportierten und am Freitagabend vor Wohngebäuden absetzten, damit sie Bewohner terrorisieren.

Diese Strategie ziele zum einen darauf ab, die Unterstützung für die Proteste zu schmälern, hieß es seitens der Opposition. Zum anderen sollten sich die Sicherheitskräfte nach der Randale der Agents Provocateurs als Retter inszenieren können. Tatsächlich saßen viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer, die tagsüber auf die Straßen gegangen waren, in der Nacht in Panik in ihren Wohnungen.

In einigen Vierteln von Cali und Bogotá sind große Gruppen von Anwohnern trotz Ausgangssperre bis spät in der Nacht auf den Straßen geblieben. Anwohner des Parkways, einem zentralen Boulevard in Bogotá, skandierten am späten Abend: "Die Leute bleiben, keine Ausgangsperre". Zur selben Zeit kam es in den Straßen von Medellín, einer Hochburg von Anhängern des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, zu Cacerolazos. Auch in anderen Städten kamen die Menschen Freitagnachmittag und -abend massenhaft zu entsprechenden Protestaktionen zusammen.

Der Streik vom 21. November, zu dem Dutzende soziale Organisationen aufgerufen hatten, richtet sich gegen eine Reihe angekündigter Sparmaßnahmen der Regierung Duque, die Forderungen der OECD und des IWF entsprechen. Es geht dabei unter anderem um die Abschaffung des Mindestlohns, um die Senkung des Lohns für Jugendliche, die Privatisierung des Rentensystems, die Senkung von Steuern für Konzerne und die Privatisierung von staatlichen Unternehmen. Weitere Gründe für den Protest sind die repressive Politik gegen die sozialen Bewegungen und Verantwortung des Staates bei Morden an sozialen Führungspersönlichkeiten. Allein unter Duque sind knapp 250 Aktivisten und 170 Ex-Farc-Kämpfer getötet worden. Oft bleiben diese Taten straffrei. Für besondere Empörung sorgte zuletzt die Ermordung von 18 Kindern und Jugendlichen bei einem Bombenangriff der Luftwaffe auf ein Guerillalager. In Folge musste der Verteidigungsminister zurücktreten.

Am Freitagabend sagte Duque er stehe für ein "nationales Gespräch" in der kommenden Woche bereit. "Wir sind eine Regierung, die zuhört", betonte er. Gleichzeitig rief er alle Bürgermeister und Landräte dazu auf, mit Ausgangssperren und anderen Maßnahmen zu reagieren, um "die öffentliche Ordnung zu bewahren".

Indes halten die Proteste an. Für das Wochenende hatten regierungskritische Gruppen mehrere Kundgebungen geplant. Ihr Motto: "El paro no para" – der Streikt hört nicht auf. So versammelten sich erneut Tausende Menschen an mehreren Plätzen Bogotás, sind aber immer wieder durch die Esmad grundlos attackiert worden. Die Polizeieinheit hat dabei einen 18-Jährigen bewusstlos geschlagen. Er schwebt zwischen Leben und Tod im Krankenhaus.