Bolivien / Politik

Trotz Widerstand: Präsidentschaftswahlen in Bolivien wohl Anfang September

Wahlen sollten eigentlich im Mai stattfinden. Interimsregierung begründete Verschiebung mit Corona-Pandemie. UN begrüßt Festlegung des Termins

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Das Oberste Wahlgericht von Bolivien verkündet die Übereinkunft für Wahlen Anfang September
Das Oberste Wahlgericht von Bolivien verkündet die Übereinkunft für Wahlen Anfang September

La Paz. Die nach dem Putsch vom vergangenen Jahr notwendig gewordenen Präsidentschaftswahlen in Bolivien sollen nun am 6. September stattfinden. Salvador Romero, Direktor der Obersten Wahlbehörde, gab auf einer Pressekonferenz in La Paz bekannt, dass sich die Mehrheit der Kandidaten verschiedenster Parteien gemeinsam auf einen Gesetzesentwurf und das Datum geeinigt haben. Bei dem Spitzentreffen waren unter anderen die stärksten Kontrahenten im Rennen um das wichtigste politische Amt des Landes anwesend: Luis Arce von der Bewegung zum Sozialismus (MAS), Carlos Mesa von der Bürgergemeinschaft (Comunidad Ciudadana) sowie Tuto Quitoga (Libre 12). Der Gesetzesentwurf werde nun dem Parlament zur Diskussion vorgelegt.

Lediglich die Allianz Gemeinsam (Juntos) von der Interimspräsidentin der momentanen De-facto-Regierung, Jeanine Áñez, sowie die Partei Creemos des ultrarechten Luis Fernando Camacho aus Santa Cruz, einer der führenden Köpfe während des Putsches im vergangenen Jahr, enthielten sich dem politischen Pakt. Sie vertreten die Ansicht, dass die Bekämpfung der Pandemie absolute Priorität genieße.

Ursprünglich waren die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen für den 3. Mai 2020 vorgesehen, mussten jedoch aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden. Die Oberste Wahlbehörde hatte einen Termin zwischen dem 28. Juni und dem 27. September vorgeschlagen. Daraufhin hatten beide Kammern des Parlaments, in denen die ehemalige Regierungspartei MAS weiterhin die absolute Mehrheit besitzt, Anfang Mai ein Gesetz verabschiedet, das einen ultimativen Wahltermin bis zum 2. August festlegte. Aufgrund steigender Corona-Fälle und technischer Schwierigkeiten für den früheren Wahlprozess zeigte sich die MAS allerdings kompromissbereit und billigte den Vorschlag der obersten Wahlbehörde zur Aufschiebung des Wahltermins um einen weiteren Monat.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, begrüßte die Entscheidung und rief zu einer Kooperation aller politischen Lager auf, um friedliche, transparente und inklusive Wahlen zu garantieren. Sobald eine offizielle Anfrage Boliviens vorliege, würde seine Organisation gemeinsam mit der EU, Schweden, Kanada und Großbritannien technische Unterstützung leisten, damit die Wahlen unter bestmöglichen hygienischen Standards ablaufen könnten.

Die Zahlen der Infizierten mit Covid-19 steigt laut dem Gesundheitsministerium indes weiter an. Am vergangenen Sonntag wurden 285 neue Fälle im Vergleich zum Vortag registriert. Bei einer Einwohnerzahl von knapp zehn Millionen vermeldet Bolivien insgesamt 13.643 Infizierte und 465 Tote aufgrund des Coronavirus. Die Sterberate liegt damit bei 3,4 Prozent. Mit fast zwei Dritteln der Fälle ist das Departamento Santa Cruz im Tiefland, wo sich die bevölkerungsreichste Stadt des Landes befindet, am stärksten betroffen.

Interimspräsidentin Áñez hatte Ende März den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Damit verbunden sind weitgehende Ausgangsbeschränkungen, Grenzschließungen und die Militarisierung zahlreicher Regionen. Seit dem 11. Mai wurden Lockerungen der strengen Quarantänemaßnahmen veranlasst, um die Lage der Bevölkerung zu normalisieren und Teile der Wirtschaft anzukurbeln.

Die Prognosen für Bolivien sind besorgniserregend. Bis Ende Juli rechnet das Gesundheitsministerium mit 100.000 infizierten Personen. Auf Basis dieser Zahlen hat der Direktor für Epidemiologie, Virgilio Prieto, in einem Fernsehinterview angekündigt, dass bei Eintreten der Vorhersage zwischen 4.000 und 7.000 Personen an Covid-19 sterben könnten. "Falls die 100.000 Fälle tatsächlich eintreten sollten, dann reichen weder die Gesundheitsversorgung noch die Friedhöfe und Bestattungsmöglichkeiten aus", fügte er hinzu.

Die Neuwahlen sind notwendig, weil nach dem Sturz des Präsidenten Evo Morales nach der Abstimmung vom 20. Oktober 2019 eine ultrarechte "Interimsregierung" die Macht übernahm. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte seine Wiederwahl im ersten Durchgang als "Betrug" bezeichnet und damit Unruhen im Land Vorschub geleistet. Polizei und Armee schlugen sich auf die Seite der Opposition und forderten den Rücktritt des Präsidenten. Morales trat schließlich zurück und floh zusammen mit seinem Vize Álvaro García Linera außer Landes. Die OAS schickte Wochen später ein Expertenteam nach Bolivien, um die angebliche Wahlfälschung und die Manipulation von Wahlcomputern nachzuweisen. An der Neutralität und Genauigkeit des Abschlussberichtes wurden jedoch vermehrt und durch verschiedene Studien erhebliche Zweifel angemeldet, sodass die Wahlfälschung bis heute nicht zweifelsfrei geklärt ist.

Am vergangenen Sonntag erst berichtete die New York Times von einer neuen Analyse, in welcher der Vorwurf des Wahlbetrugs widerlegt wurde (amerika21 berichtete).