Skandal um illegale Geheimdienstaktivitäten in Argentinien weitet sich aus

Regierung Macri ließ anscheinend systematisch überwachen. Politische Gegner wie Freunde betroffen. Auch Journalisten bei G20-Gipfel abgehört

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Im Oktober wurde Mauricio Macri als Präsident in Argentinien abgewählt. Davor ließ er nach Stand der Ermittlungen in großem Stil Menschen überwachen. Auch beim G20-Gipfel 2018 in Buenos Aires
Im Oktober wurde Mauricio Macri als Präsident in Argentinien abgewählt. Davor ließ er nach Stand der Ermittlungen in großem Stil Menschen überwachen. Auch beim G20-Gipfel 2018 in Buenos Aires

Buenos Aires. Die Ermittlungen rund um die illegalen Aktivitäten des argentinischen Bundesgeheimdienstes AFI während der Regierungszeit des konservativen Präsidenten Mauricio Macri (2015–2019) bringen immer mehr neue Erkenntnisse zutage. Am Bundesgericht von Lomas de Zamora in der Provinz Buenos Aires laufen derzeit Untersuchungen gegen Mitglieder eines illegalen Spionagenetzwerks innerhalb des AFI. Ihnen wird vorgeworfen, über Jahre hinweg Politiker, Richter, Journalisten, Unternehmer, Geistliche, Gewerkschafter und Sozialaktivisten systematisch und ohne jegliche rechtliche Befugnis ausspioniert zu haben. Die Betroffenen wurden in ihrem Berufs- und Privatleben überwacht, es wurden Foto- und Videodossiers über sie angelegt, Telefongespräche abgehört und Nachrichten geleakt.

Die Gruppe soll aus zumindest 18 Personen bestanden haben, die sich in der internen Kommunikation selbst als "SuperMarioBros" bezeichneten. Neben Polizeiangehörigen, Geheimdienstmitarbeitern, Anwälten und Journalisten waren auch Drogenhändler und Mitglieder organisierter Fußballfangruppen, der sogenannten "barras bravas", Teil des Netzwerks. Aufgeflogen war die Gruppe durch die Aussage eines inhaftierten Drogenhändlers. Dieser sagte aus, er sei von einem Anwalt und Agenten des AFI zu einem Bombenattentat gegen einen ehemaligen Beamten des Verteidigungsministeriums während der Regierung Macri angestiftet worden. Im Gegenzug sei ihm freie Hand bei seinen Drogengeschäften und sogar ein Ausweis versprochen worden, der ihn als Mitarbeiter des AFI ausgewiesen hätte. Im Zuge der folgenden Untersuchungen beschlagnahmten die Behörden mehrere Mobiltelefone von Mitgliedern des Netzwerks. Aus den darauf gespeicherten Daten, Fotos und Konversationen ergibt sich ein umfassendes Bild der illegalen Spionageaktivitäten.

Zu den Geschädigten gehören sowohl Gegner als auch Mitglieder und Anhänger der früheren Regierung unter Staatspräsident Macri. Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wurde ebenso überwacht wie einzelne Mitglieder der Macri-Partei PRO, darunter der Bürgermeister von Buenos Aires, Rodríguez Larreta, und die ehemalige Gouverneurin der Provinz Buenos Aires, María Eugenia Vidal. Das Gericht erhebt auch den Vorwurf der systematischen Überwachung ehemaliger Mitglieder der Kirchner-Regierung oder ihr nahestehender Geschäftsleute, die sich derzeit wegen vermeintlicher Korruptionsvergehen in Haft befinden. Dort sollen ihre Gespräche mit Anwälten und Angehörigen illegal abgehört worden sein, um daraus Druckmittel zu generieren, die sie zu belastenden Aussagen gegen Ex-Präsidentin Kirchner bewegen sollten.

Kirchner sprach in einer ersten Reaktion von einem „noch nie dagewesenen Skandal“ und machte dafür Mauricio Macri persönlich verantwortlich. Zugleich hob sie die Komplizenschaft des Höchstgerichts und der Medien in der Verbreitung der illegal aufgezeichneten Nachrichten hervor. Die betroffenen Macri-Vertrauten dagegen glauben vorerst nicht an eine direkte Verwicklung des Ex-Präsidenten. Kommentatoren sehen jedoch im Hintergrund einen zunehmenden Konflikt zwischen unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der Macri-Partei PRO.

An einer weiteren Front ist Ex-Präsident Macri mit einer erneuten Anzeige gegen ihn konfrontiert. Diese basiert auf einem neuen brisanten Fund in den Archiven des AFI. Nachdem dort kürzlich eine Festplatte mit illegal abgefangenen E-Mails von über 80 Personen des öffentlichen Lebens entdeckt wurde (amerika21 berichtete), sind Ermittler nun auf ebenso illegal angelegte geheimdienstliche Dossiers über rund 500 Personen gestoßen. Sie waren im Vorfeld zweier politischer Großereignisse während der Regierungszeit Macris angelegt worden: des Treffens der Welthandelsorganisation 2017 und des Gipfeltreffens der G20 2018. Im Zentrum des Interesses des Geheimdienstes stand dabei vor allem die politische Gesinnung der betreffenden Personen.

In ihrer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft betont die aktuelle Leiterin des AFI, Cristina Caamaño, die betreffenden geheimdienstlichen Untersuchungen seien von keinem Gericht beauftragt oder autorisiert worden. Es handele sich daher um illegale Spionage, die unter ausdrücklicher Duldung der politisch Verantwortlichen durchgeführt worden sei. Die Dossiers dienten als Grundlage für die Akkreditierung bzw. deren Ablehnung zu den beiden politischen Veranstaltungen. Betroffen sind in der Mehrzahl Journalisten aus unterschiedlichen Ländern, aber auch Akademiker, Vertreter von NGOs und Sozialaktivisten. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, die Befürwortung des Rechts auf Abtreibung oder die Anprangerung von Polizeigewalt konnten dabei zu Ausschließungsgründen für die Betroffenen werden.

Staatspräsident Alberto Fernández sagte zum aktuellen Fall: "Ich habe der argentinischen Gesellschaft gegenüber die Verpflichtung, diese Keller der Demokratie für immer zu schließen. Wir werden nicht zulassen, dass die Ressourcen des staatlichen Geheimdienstes zum Nachteil argentinischer Staatsbürger genutzt werden, ganz egal, wie sie denken."