Nachbeben der Proteste in Kolumbien: Protestierende freigelassen, Polizei angeklagt

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Eineinhalb Jahre ohne Urteil im Gefängnis: Vier der jetzt freigelassenen zehn Aktivisten
Eineinhalb Jahre ohne Urteil im Gefängnis: Vier der jetzt freigelassenen zehn Aktivisten

Guadalajara de Buga/Cali. Eine Strafrichterin des Bezirks Guadalajara de Buga in Kolumbien hat vergangene Woche die Freilassung von zehn politischen Gefangenen aus den sozialen Unruhen von 2021 angeordnet. Sie waren seit anderthalb Jahren inhaftiert, ohne dass je ein Gerichtsurteil ergangen war.

Diese gerichtliche Entscheidung wird im Land als Grundsatzurteil gesehen. Karina Reyes Varela, Brenlly Daniela Hidrobo, Epifanio Domínguez Bolaños, Cristian Granada, Jhon Deiby Castillo Murillo, Víctor Tascón, Jorge Luis Gordillo, Miguel Ángel González Vélez, Álvaro Rojas und Carlos Julio Calero Suescun waren wegen Beteiligung an den massiven Protesten im Jahr 2021 angeklagt, die unter anderem zum Regierungswechsel führten. Die Freilassung der Gruppe von Menschenrechtsverteidigern, Demonstranten und Aktivisten wird von vielen Menschenrechtsorganisationen begrüßt.

Allerdings befinden sich noch mehrere Personen wegen Anklagen im Zusammenhang der landesweiten Streiks in Gefangenschaft oder unter Auflagen in Freiheit, weitere Personen sind im Exil. Hinzu kommt der Fall von Jhonatan Sabogal, der in diesen Strafprozess verwickelt war und 2022 bei dem Massaker im Gefängnis von Tuluá getötet wurde (amerika21 berichtete). Angehörige und Basisorganisationen fordern daher die Freilassung aller Betroffenen, die Einstellung der Strafverfahren und Gerechtigkeit für den Mord an Sabogal.

Die Anordnung der Richterin wurde am 21. Juli bekannt. Zwei Tage zuvor hatte die Gruppe der inhaftierten Demonstranten im Gefängnis von Palmira ihren am 30. Juni begonnenen Hungerstreik beendet, nachdem ein Dialog zugesagt wurde, an dem das "Gefangenenkollektiv Jhonatan Sabogal", der Hochkommissar für Frieden, der Präsidialrat für Jugend und das Justizministerium beteiligt sein werden.

Auch die Forderung nach Aufklärung der Gewalttaten gegen Protestierende und nach Gerechtigkeit für die Opfer hat einen kleinen Sieg erzielt: Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 30. Juli erklärt, dass ein Staatsanwalt der Spezialdirektion gegen Menschenrechtsverletzungen vor einem Richter in Cali den Polizeioberst Edgar Vega Gómez angeklagt hat. Er wird beschuldigt, für das Verbrechen des schweren Mordes durch Unterlassung im Rahmen des Protests verantwortlich zu sein. Auch die Polizisten Néstor Mancilla und Wilson Esparragoza wurden angeklagt.

Vega war operativer Befehlshaber der Polizei von Cali im Jahr 2021 und mutmaßlich verantwortlich für die Tötung von zwei jungen Menschen, die an den Protesttagen in Cali teilgenommen haben. Die Opfer starben am 28. April und am 1. Mai. Beweise zeigen, dass beide von Polizisten erschossen wurden.

Laut Staatsanwaltschaft haben die Ermittlungen ergeben, dass der Beamte "das Recht auf Leben der Demonstranten nicht gewährleistet hat. Er hat keine Maßnahmen ergriffen, um die ihm unterstellten Angehörigen der Nationalpolizei daran zu hindern, Schusswaffen gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen."

Cali war eines der wichtigsten Protestzentren des Landes, mindestens 64 Personen wurden dabei von staatlichen Einsatzkräften und paramilitärischen Gruppen getötet. Die Aufklärung der Taten hat bisher zu keiner Verurteilung geführt. Initiativen der Zivilgesellschaft wie das Tribunal Popular en Siloé haben eigene Recherchen durchgeführt und üben Druck auf die staatlichen Institutionen aus. Dieses Volkstribunal hat bereits vor einem Jahr die Namen der mutmaßlichen Verantwortlichen genannt und Untersuchungen gefordert.

Polizeioberst Vega wird auch mit dem gewaltsamen Tod von weiteren mindestens sechs Personen während des Protests in Verbindung gebracht. Jedoch behandelt die Staatsanwaltschaft diese Geschehnisse als Einzelfälle. Laut Staatsanwaltschaft plädiert Vega auf "nicht schuldig".

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Die Polizei ließ bewaffnete Zivilisten gewähren. Vorn im Bild Andrés Escobar
Die Polizei ließ bewaffnete Zivilisten gewähren. Vorn im Bild Andrés Escobar

Gegen die Proteste agierten vor zwei Jahren auch bewaffnete Personen in Zivil, teils mit der Polizei und dem Militär gemeinsam. Einer dieser Männer, der auf Protestierende schoss, ist Andrés Escobar. Er tritt derzeit als Kandidat für den Stadtrat von Cali an. Dabei unterstützt ihn die ultrarechte Partei Centro Democratico. In einem fotografisch und filmisch dokumentierten Angriff gegen die Proteste von Seiten ultrarechter Strukturen ist er mit einer Schusswaffe zu sehen, wie er hinter Polizeiautos hervor auf Studierende in einer Protestveranstaltung schießt.

Gegen den Geschäftsmann läuft daher ein Verfahren wegen versuchter Körperverletzung und weiteren Straftaten. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte im Juni dieses Jahres formell Anklage gegen ihn und weitere vier Zivilisten sowie vier uniformierte Beamte erhoben, die an mehreren illegalen Aktionen gegen eine Gruppe von Demonstranten am 28. Mai 2021 in Cali beteiligt gewesen sein sollen. Gegen Escobar liegt zudem eine Anklage wegen schwerer Bedrohung vor.