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Friedensprozess in Kolumbien: Petros "letzte Karte"

Neun laufende Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen. Massive Auseinandersetzungen in den Departamentos Antioquia und Catatumbo. Erfolge im Süden des Landes mit ELN-Abspaltung

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Am 5. April haben Regierung und Comuneros del Sur ein erstes Abkommen unterzeichnet
Am 5. April haben Regierung und Comuneros del Sur ein erstes Abkommen unterzeichnet

Bogotá. Die kolumbianische Regierung unter Präsident Gustavo Petro steht vor einem entscheidenden Moment in ihrem Friedensprogramm "Paz Total". Nachdem die Verhandlungen mit mehreren bewaffneten Gruppen gescheitert sind, setzt die Regierung nun ihre Hoffnungen auf Iván Mordisco, Führer der bedeutendsten Dissidentengruppe der ehemaligen Farc-Guerilla, und Alexander Díaz Mendoza alias Calarcá, der die Führung der zweitgrößten Farc-Dissidenz innehat.

Petro selbst bezeichnete diese Verhandlungen als seine "letzte Karte" im Rahmen des "Paz Total".

Erklärtes Ziel seiner Regierung ist es, den "vollständigen Frieden" im Land zu erreichen. Dazu führt sie Verhandlungen mit linken Guerillas wie der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) und mit Farc-Dissidentengruppen, aber auch mit ultrarechten Paramilitärs und Drogenbanden.

Derzeit laufen neun Dialogprozesse. Die Verhandlungen mit der ELN sind im Moment allerdings ausgesetzt.

Urbane Friedensprozesse gibt es in den Städten Medellín, Quibdó und Buenaventura mit jeweils mehreren beteiligten bewaffneten Gruppen. In Buenaventura konnte mit Vermittlung der katholischen Kirche ein Waffenstillstand zwischen den Drogenbanden Shottas und Espartanos erreicht werden. In der Hafenstadt wurde damit der historische Rekord von 88 Tagen ohne Mord gemeldet.

Außerdem führt die Regierung in Nariño einen Dialog mit der Gruppe Comuneros del Sur, einer ELN-Dissidenz, bei dem bisher die größten Fortschritte erzielt wurden und von einer möglichen Demobilisierung gesprochen wird. Am 5. April haben Regierung und Comuneros del Sur ein erstes Abkommen unterzeichnet

Zwei weitere Prozesse befinden sich in Vorbereitung: mit den paramilitärischen Autodefensas de la Sierra und dem Clan del Golfo.

Die Europäische Union hat im März 2024 rund 2,5 Millionen Euro für Friedensgespräche mit Farc-Dissidenten und urbane Friedensprozesse in Buenaventura und Quibdó bereitgestellt.

Insbesondere der Bombenanschlag in Cali am 24. April hat die Regierung und die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Der Anschlag wurde von einer der Fraktionen des Clan del Golfo verübt und forderte mehrere Opfer unter den Sicherheitskräften. Das Ereignis löste landesweite Proteste aus und verstärkte die Kritik am Paz Total.

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Eine der größten Herausforderungen bleibt die Verhandlung mit den Paramilitärs des Clan del Golfo.

In den letzten Tagen verschärften sie die Angriffe, nachdem die Gruppe den sogenannten Plan Pistola wieder aufgenommen hatte, bei dem gezielt Sicherheitskräfte angegriffen werden. In Reaktion auf diese Eskalation schickte die Regierung zusätzliche Sicherheitskräfte in 25 Gemeinden in Antioquia. Das Departamento Antioquia ist zu einem der Hauptschwerpunkte der Gewalt geworden, mit insgesamt 15 Angriffen in den letzten Wochen. Fünf Sicherheitskräfte sind dabei getötet und 30 Personen schwer verletzt worden. Acht Polizisten und Soldaten werden weiterhin in medizinischen Einrichtungen behandelt.

In der Region Catatumbo wurden erneut mehr als 64.000 Menschen vertrieben. Dort hat die Regierung ein Ultimatum bis zum 18. Mai gesetzt. Bis zu diesem Datum müssen sich alle verhandlungswilligen illegalen Gruppen in Konzentrationszonen einfinden. Die Regelung gilt außerdem für zwei weitere illegal bewaffnete Strukturen, die gemeinsam das sogenannte Estado Mayor de los Bloques y Frentes (EMBF) bilden. Gleichzeitig wurden die militärischen Offensiven und Polizeieinsätze gegen die Dissidentengruppen verstärkt.

"Die Sicherheitskräfte sind angewiesen, jede Aktion gegen die Zivilbevölkerung, die von einer dieser Gruppen ausgeht, anzugreifen", so Petro. In diesem Zusammenhang erklärte der Präsident: "Die Fronten, die verhandeln, haben bis zum 18. Mai Zeit, Konzentrationszonen und Friedensgebiete zu vereinbaren."

Auch Innenminister Armando Benedetti betont neben der Stagnation in den Gesprächen mit den Paramilitärs die Probleme bei den Verhandlungen mit den Dissidenten der Farc. Problematisch sei ein Waffenstillstand seitens der Regierung, denn er ermögliche den Gruppen, frei zu agieren. Jedoch müsse die Bevölkerung geschützt werden. Er sprach sich für die Maßnahmen von Petro aus, die den Dissidenten ermöglichen, sich in festgelegten Zonen zu versammeln, um ihren Übergang in das zivile Leben zu erleichtern. Laut Benedetti handelt es sich bei allen illegalen bewaffneten Gruppen mittlerweile um Drogenbanden.

Danilo Rueda, ehemaliger Friedenskommissar Kolumbiens, äußerte sich in einem Interview über die schwierige Lage: "Es gibt klare Fortschritte, aber der Prozess befindet sich immer noch in einer äußerst fragilen Phase. Der Einsatz von Gewalt als Mittel zur politischen Auseinandersetzung hat in Kolumbien eine lange Tradition und die Drogenkartelle und kriminellen Gruppen stellen weiterhin eine erhebliche Herausforderung dar."

Die Friedenspolitik hat politische Kontroversen ausgelöst. Der ehemalige Vizepräsident Germán Vargas Lleras kritisierte, dass Paz Total die Moral der Sicherheitskräfte untergrabe und kriminellen Gruppen ermögliche, ihre Aktivitäten auszubauen.

Mit weniger als zwei Jahren verbleibender Amtszeit steht Petros Regierung vor der Herausforderung, die gesteckten Friedensziele zu erreichen und ihr politisches Erbe zu sichern.