Crescendo der Enttäuschung: Kolumbien steckt in multiplen Krisen

Vierzehn Monate vor den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien im Mai 2026 ist die Stimmung angespannt

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Wandbild in Catatumbo. "Holt uns raus aus dem bewaffneten Konflikt"
Wandbild in Catatumbo. "Holt uns raus aus dem bewaffneten Konflikt"

Der Krieg in Catatumbo (Norte de Santander), einer Grenzregion zu Venezuela, die Aussetzung der Hilfsgelder der Entwicklungsagentur USAID, und die politische Krise im Kabinett von Präsident Gustavo Petro zeichnen ein düsteres Bild. Diese komplexen Ereignisse fanden alle in den ersten 45 Tagen des Jahres 2025 statt. Sie hatten sich aber schon vorher a­uf verschiedene Weise angekündigt.

Ein großer Teil der 52 Millionen Kolumbianer:innen erlebte einen Wandel – von der anfänglichen Euphorie über das progressive politische Projekt, das Petro vor drei Jahren als Wahlversprechen präsentierte, hin zur Ernüchterung einer festgefahrenen Realität. Wie und warum kam es zu diesem Crescendo der Enttäuschung?

Der erste Fehlschlag war die Initiative des "Totalen Friedens" der Regierung von Petro, die getrennte und parallele Gespräche mit allen organisierten, illegalen, bewaffneten Gruppen vorsah, um ihre Auflösung auszuhandeln und sie vor Gericht zu stellen. Alles deutet darauf hin, dass dies zu viel auf einmal war, auch wenn der Frieden in Kolumbien immer ein Gebot der Stunde sein wird.

Eine der verhandelnden Gruppen war die Nationale Befreiungsarmee (ELN). Die Gespräche mit der ELN-Guerilla, die in den letzten Jahren in Ecuador und Kuba geführt wurden, sind bereits im Mai 2024 ins Stocken geraten und nun endgültig abgebrochen. Im Januar 2025 eskalierte die Gewalt in der Region Catatumbo. Dort kämpft die Guerilla gegen Dissidenzen der inzwischen aufgelösten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc-EP).

Der Catatumbo, Schauplatz des Krieges und der Auseinandersetzungen, ist eine ölreiche Region mit dem größten Kokaanbaugebiet des Landes. Dort hat die Regierung Petro zusammen mit den Gemeinden an einem großen Sozialprojekt gearbeitet. Seit Beginn seiner Amtszeit und parallel zu den Verhandlungen mit der ELN hat er mit den líderes sociales der Region gesprochen und gemeinsam den "Pakt für die Transformation von Catatumbo" ausgearbeitet. Die Initiative steht noch auf dem Papier.

"Frieden ist nie ein schlechtes Unterfangen. Aber die Politik hat versagt", so Wilfredo Cañizares Arévalo, Direktor der Nichtregierungsorganisation Progresar, die seit 34 Jahren in der Region tätig ist.

Cañizares erklärt im Interview mit LN, dass es vor etwa zwei Jahren zu einer Umstrukturierung der internationalen mexikanischen Kartelle kam, die Abgaben an die ELN und die Farc-Dissidenzen für den Kauf von Koka zahlten. "Damals haben wir der Regierung gesagt, sie solle den Wiederaufbauplan in Angriff nehmen. Aber die Gespräche zogen sich in die Länge und die Regierung hat die Gelegenheit verpasst. Die Realität in dieser Region ist, dass ein großer Teil des Lebensunterhalts vom Kokaanbau abhängt. Die Bauern baten die Regierung um Nahrungsmittelhilfen. Wir haben sie immer wieder aufgefordert, sich um Catatumbo zu kümmern, aber die Regierung kam nicht. Stattdessen kamen andere."

Ende 2024 tauchten neue internationale Koka-Käufer:innen in Catatumbo auf. Die Reaktivierung des Handels hat den Konflikt zwischen der ELN und den Farc-Dissidenzen um die Kontrolle eines Gebiets verschärft, in dem jährlich 400.000 Kilo Koka produziert werden.

"Die ELN leugnet es, aber sie kämpft um die strategischen Korridore für Drogen und ist in diesen strategischen Bergbaugebieten verankert", sagt Gonzalo Sánchez Gómez, ehemaliger Direktor des Nationalen Zentrums für Historische Erinnerung Kolumbiens (CNMH), gegenüber LN.

Am 16. Januar dieses Jahres brach der Krieg in Catatumbo aus, als die ELN die Bäuer:innen aufforderte, die Region zu verlassen. Daraufhin rief Petro am 20. Januar den Ausnahmezustand aus und verkündete: "Die ELN hat den Weg des Krieges gewählt und sie wird Krieg bekommen."

Laut Junior Cabrejo Maldonado, Vorsitzender der Bauernvereinigung von Catatumbo (ASCAMCAT), wurden mindestens 60.000 Menschen vertrieben. "Sie sind jetzt in der Region auf der Flucht oder kehren zurück, wenn sich die Situation beruhigt hat. Die Familien sitzen in den Schulen der Region fest. Die Lehrer haben die Schulen verlassen und es gibt nicht genug zu essen, um zu überleben."

Gonzalo Sánchez Gómez vom CNMH erklärt, dass die Dynamik der kolumbianischen Gewaltakteure zunehmend von internationalen Faktoren abhängt, wie etwa den mexikanischen Kartellen, den Kartellen in Ecuador und Peru und den Kokainrouten nach Europa. "Hier hat sich eine globale Dynamik entwickelt, die zunehmend von außerhalb des Landes gesteuert wird. Deshalb sind globale Ansätze erforderlich", sagt er.

Das trifft auch auf die ELN zu: eher eine binationale Guerilla, die in Kolumbien und Venezuela agiert. Sie destabilisiert eine poröse Grenze, durch die sich Migrant:innen auf der Flucht aus Venezuela weiterhin bewegen und in einigen Fällen dem Konflikt oder sogar der Zwangsrekrutierung zum Opfer fallen.

Doch die Suche nach globalen Lösungen hat mit dem Amtsantritt von Donald Trump als Präsident einen weiteren schweren Rückschlag erlitten. Als Präsident Gustavo Petro Ende Januar zwei US-Militärflugzeugen, die abgeschobene Kolumbianer:innen an Bord hatten, die Einreise verweigerte, reagierte Trump mit der Androhung von Sanktionen und höheren Zöllen auf kolumbianische Produkte – eine Warnung auch an andere Länder, die sich Trumps Entscheidungen widersetzen. Am Ende beugte sich Petros Regierung dem Druck des großen Bruders, ohne zu ahnen, dass sich das Klima noch weiter aufheizen würde.

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Denn der Streit rund um die Abschiebungen war nur die Spitze des Eisbergs. Am 29. Januar wurde bekannt, dass Trump bis auf Weiteres alle Mittel für die Zusammenarbeit mit USAID, der US-Agentur für internationale Entwicklung, eingefroren hat. Das führt unter anderem zu einer existenziellen Krise der Migrationsprogramme, an denen Kolumbien zur Entschärfung der Krise bei der Aufnahme von Migrant:innen, insbesondere aus Venezuela, hart gearbeitet hat.

Ronald Rodríguez, Forscher der Venezuela-Beobachtungsstelle am Observatorio de Venezuela erklärt: "Die bisherige Unterstützung von USAID für die kolumbianische Regierung und Nichtregierungsorganisationen konzentrierte sich auf die Aufnahme, Integration und Legalisierung von Migrant:innen. Im Jahr 2020 wurde ein großer Plan namens Integra entwickelt. Heute fehlen die Ressourcen, um diesen Plan weiterzuführen." Auch das von USAID finanzierte Programm "Puntos Visibles" der kolumbianischen Einwanderungsbehörde, das die Regularisierungsverfahren für Migrant:innen stärken sollte, liegt nun auf Eis.

Entwicklungsgelder fließen in soziale Projekte

Kolumbien ist das lateinamerikanische Land, das die meisten USAID-Mittel erhält, mindestens 400 Millionen Dollar pro Jahr. Mit diesen Geldern werden soziale Projekte, Justizprojekte und Initiativen zur Suche nach Verschwundenen unterstützt, die aus dem Friedensprozess hervorgegangen sind. In einem Land mit einer extrem hohen Gewaltrate war USAID für die Arbeit von Dutzenden von Menschenrechts-NGOs unverzichtbar.

Eine dieser Organisationen ist die Wahlbeobachtungsmission (EOM), deren Handlungsspielraum bei der Beobachtung der Präsidentschaftswahlen im Mai 2026 nun eingeschränkt wird.

Zur langen Liste der wiederkehrenden Probleme in Kolumbien kommt nun auch die Kabinettskrise der Petro-Regierung hinzu. Diese konnte die Bevölkerung am 4. Februar live im Fernsehen bei einem chaotischen Ministerrat miterleben. Die Risse in der Regierung wurden deutlich, als Vizepräsidentin Francia Márquez und die Umweltministerin Susana Muhamad dem Präsidenten mitteilten, dass sie mit der Entscheidung, Armando Benedetti in das Kabinett zu berufen, nicht einverstanden seien. Benedetti, ein fragwürdiger Politiker, war an der Kampagne, die Petro zum Wahlsieg verhalf, beteiligt.

In den folgenden Tagen forderte Petro seine Minister:innen zum formellen Rücktritt auf. Einige traten unwiderruflich zurück, darunter Innenminister Juan Fernando Cristo und Verteidigungsminister Iván Velásquez Gómez, der als Garant für Gerechtigkeit und den Kampf gegen die Straflosigkeit galt. Petro ernannte daraufhin den General Pedro Sánchez zum neuen Verteidigungsminister, einen zuvor aktiven Offizier der kolumbianischen Luftwaffe, der für sein neues Amt aus dem Dienst ausscheiden musste.

Der linke Regierungschef führt das Land inmitten von Verwirrung und Müdigkeit. Die Ernennung eines Generals zum Verteidigungsminister wird von Analyst:innen als klare Botschaft an die ELN-Guerilla verstanden, dass mit eiserner Faust durchgegriffen wird.

Andere sehen darin auch ein Signal an die rechte Opposition, die bei den Präsidentschaftswahlen antritt, und deren Anführer, Expräsident Álvaro Uribe Vélez wegen Verfahrensbetrugs und Bestechung vor dem Obersten Gerichtshof steht. Nach Ansicht des Forschers Gonzalo Sánchez hat Petro "einen Militärangehörigen ernannt, um die Opposition zu neutralisieren. Diese prangert die Unsicherheit an, um Unruhe in den Streitkräften zu stiften." Die Regierung versucht, dem so entgegenzuwirken.

Der Weg, der für die verbleibende Amtszeit von Gustavo Petro noch vor uns liegt, ist beunruhigend. Besonders für die vertriebenen Bevölkerungsgruppen, die erneut die volle Wucht des Krieges zu spüren bekommen, sowie jene, die sich aufgrund des Kriegs zu Hause einschließen müssen, ist die Lage prekär.

Dennoch wollen die Gemeinden auf den Dialog setzen, um Lösungen zu finden – diese Hoffnung hätten sie der Regierung deutlich gemacht, so Junior Cabrejo Maldonado.

Doch die Herausforderungen gehen über den internen Konflikt hinaus. Die Kürzung der USAID-Gelder könnte weitreichende Folgen haben. Ronald Rodríguez warnt, dass damit auch die Rolle Kolumbiens als strategischer Partner der USA im Anti-Drogen-Kampf in Frage gestellt werden könnte, was die Mittel für die Zusammenarbeit weiter schrumpfen ließe.

Die politische Krise, die Sicherheitslage und die wirtschaftlichen Unsicherheiten schaffen ein Klima der Entmutigung in einem Land, das sich um Frieden bemüht hat und weiter bemüht. Derzeit ist es jedoch nur schwer möglich, das Glas als halb voll zu sehen.

Der Beitrag ist erschienen in den Lateinamerika Nachrichten Nr. 609