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Als Fidel Castro in Berlin Basketball spielte und über die Ostsee fuhr

Erstmals auf Deutsch: Protokoll des kubanischen Journalisten Luis Báez zum Besuch des kubanischen Revolutionsführers in der DDR im Jahr 1972

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Fidel Castro und Erich Honecker über einer Landkarte. Castro zeigte seinen Gastgebern die Position der Thälmann-Insel
Fidel Castro und Erich Honecker über einer Landkarte. Castro zeigte seinen Gastgebern die Position der Thälmann-Insel

Im Juni 1972 reiste Fidel Castro nach Deutschland – in die DDR. Der acht Tage währende Besuch war ein Höhepunkt der generell guten Beziehungen zwischen beiden Staaten – und offenbar auch eine späte Antwort auf die Visite des inzwischen ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy in Westberlin neun Jahre zuvor.

Der kubanische Journalist Luis Báez hat den Besuch in seinem Buch "Fidel por el Mundo" (etwa: Fidel in der Welt) protokolliert. Der Text, den amerika21 erstmals auf Deutsch präsentiert, liefert einige bisher kaum bekannt Details über den Aufenthalt des kubanischen Revolutionsführers in Deutschland.


Dienstag, 13. Juni 1972. Um 10:28 Uhr setzt die IL-18 auf der Piste des Zentralflughafens Schönefeld auf. Der Tag zeigt sich grau und kalt, der Schutz der Mäntel erweist sich als unerlässlich. Dagegen kann die andere Temperatur, die das Thermometer der allgemeinen Stimmung anzeigt, nicht einladender und warmherziger sein. Vom ersten Augenblick an sind die außergewöhnlichen Umstände dieses Empfangs wahrzunehmen.

Erich Honecker, der erste Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, und Premierminister Willi Stoph empfangen den kubanischen Revolutionsführer.

Nachdem die Zeremonie beendet ist, beginnt die 37 Kilometer lange Fahrt vom Flughafen zum Schloss Schönhausen, das als Residenz der kubanischen Delegation vorgesehen ist.

Es folgt ein begeisterter Empfang. Fidel und die deutschen Führungspersönlichkeiten reisen in einem offenen Wagen, der sich nur mühsam seinen Weg durch die von der Bevölkerung überfluteten Alleen bahnt. Sogar die nordamerikanische Agentur UPI gesteht: "Ostdeutschland – so wird berichtet – bereitete dem kubanischen Regierungschef einen heldenhaften Empfang."

Fidel beginnt seine Aktivitäten mit einem Besuch des Gebäudes des Staatsrates, in dem ihn dessen Vorsitzender Walter Ulbricht empfängt. Der deutsche Politiker heftet dem Besucher den Orden des Großen Sterns der Völkerfreundschaft an die Brust und erklärt die Gründe für die Auszeichnung: "Für Ihren Kampf gegen den Imperialismus und für die Freundschaft und die Verständigung zwischen den Völkern, für ihren Beitrag zum Frieden und zum Sozialismus in der Welt."

Fidel spricht einige aufrichtige Dankesworte angesichts einer solch bedeutenden Ehrerweisung.

Um die Mittagszeit legt der kubanische Führer einen Kranz am Mausoleum für die Opfer des Faschismus an der Allee Unter den Linden und am Mahnmal für die Rote Armee im Berliner Stadtteil Treptow nieder, wo 7.000 sowjetischen Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, die im Kampf für die Befreiung Berlins gefallen sind.

Um fünf Uhr nachmittags beginnen die offiziellen Gespräche zwischen beiden Delegationen. Noch am selben Abend gibt die Regierung der DDR einen Empfang zu Ehren ihres berühmten Gastes.

"Immer wenn wir unterwegs sind", sagt Fidel , "legen wir Blumen am Grab des unbekannten Soldaten nieder. Die unbekannten Soldaten sind diejenigen, die die Kriege gewinnen, es sind die anonymen Kämpfer, die einfachen Arbeiter, die in Wahrheit Geschichte schreiben. Es ist das Volk, das dies vollbringt. Wir sind einfach nur die Symbole mittels derer ihr eure Entschlossenheit zum Ausdruck bringt und eure große Aufgabe verwirklicht."

Der Empfang setzt den Schlusspunkt für das offizielle Programm. Der private Arbeitstag Fidels setzt sich bis zum folgenden Morgen in Form informeller Gespräche mit einigen kubanischen Journalisten fort. Er fasst die Ereignisse und Emotionen der ersten Stunden in der DDR zusammen. Er charakterisiert dies als "einen Tag beständiger revolutionärer Begeisterung".

Fidel widmet den 14. Juni, einen Mittwoch, dem Besuch der Dynamo-Sporthalle. Es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch zwischen dem Comandante en Jefe und den anwesenden deutschen Sportlern. Aus den Unterhaltungen ergibt sich eine freundschaftliche Herausforderung, und der kubanische Premierminister tauscht einmal mehr seine Felduniform gegen die Kleidung eines Athleten, um mit seinen Gesprächspartnern Basketball zu spielen.

Als Berliner Pflichttermin sucht Fidel das Brandenburger Tor mit seinen hellenischen Säulen und seiner triumphalen Quadriga auf, ehemals Schauplatz von bedrohlichen Militäraufmärschen des Hitler-Regimes. Gegen sechs Uhr abends erreichen die Besucher das historische Bauwerk. Fidel wird dazu aufgefordert, einen Aussichtsturm zu besteigen und sich das Grenzgebiet anzusehen. Auf der anderen Seite ragt das Reichstagsgebäudes auf wie eine kolorierte Postkartenversion jenes großartigen Fotos, auf dem ein sowjetischer Soldat seine Kuppel am Tage der Befreiung die roten Fahne des Proletariats hisst.

Noch am selben Nachmittag besucht der kubanische Staatschef mit dem Grenzposten Nicolai Berzarin im Stadtteil Treptow einen der vielen Wachstationen auf, die an der 200 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Teilen Berlins liegen.

Fidel war der Hauptredner bei einem Treffen, das zu seinen Ehren in dieser militärischen Einrichtung abgehalten wurde und sprach zu den Soldaten: "Verteidigt Euer Land gegen einen imperialistischen Feind, der auf Lügen, Diffamierungen und Provokationen zurückgreift. In unserem Land müssen wir die Grenzen eines besetzten Territoriums bewachen: Guantánamo.

Die Nordamerikaner nutzen dieses Gebiet für ihre subversiven und aggressiven Aktivitäten und von daher verstehen und bewundern wir den Auftrag, den ihr hier erfüllt."

Mit diesem Auftritt beendete Fidel seinen zweiten offiziellen Besuchstag in diesem Land, in dessen Hauptstadt er auch den 360 Meter hohen und mitten im Zentrum der Stadt errichteten Fernsehturm besucht hat.

Wenig später reist die kubanische Delegation in die Industriemetropole Halle, wo man zu bereits fortgeschrittener Morgenstunde des Donnerstags ankommt.

Um 11:00 Uhr vormittags trifft Fidel im Kombinat Leuna-II in Halle ein. Erneut ist der Weg von Menschenmassen gesäumt: Ungefähr 100.000 Menschen heißen ihn willkommen.

Während seines Aufenthaltes überreicht der Arbeiter Georg Wolf den kubanischen Gast im Namen seiner Kollegen ein Gewehr, das bei der revolutionären Erhebung von 1921 im Einsatz war.

"Solange es auch nur noch ein imperialistisches Land gibt", betont Fidel, "werden wir weiterhin die Waffen bereithalten müssen. Und ich kann euch versichern, dass – wenn die Yankee-Imperialisten eines Tages in Kuba einmarschieren – auch dieses Gewehr in Verteidigung der Sache des Sozialismus im Einsatz sein wird."

Die Nachmittagsstunden werden zu einem Rundgang durch die neuen Stadtviertel von Halle und das Politechnikum des Chemiekombinats sowie die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Martin-Luther-Universität genutzt.

Nochmals Halle, die Fahrt geht in die von Jahrhunderten gezeichnete Altstadt. Dort nehmen in den Weinkellern von Schloss Moritzburg Gastgeber und Besucher rund um einen großen Tisch Platz, um ausführliche Gespräche zu führen.

Drinnen stürzen sich drei junge Vietnamesen auf Fidel. Sie umarmen ihn und haben Tränen in den Augen. Der Comandante en Jefe wirkte sehr zufrieden. Es war ein einzigartiger Tag. Wie er sagte: "Ein kommunistischer Tag."

Wegen seines Reichtums an Kunstwerken und seiner architektonischen Pracht ist Dresden auch als Elbflorenz bekannt. Unter der Naziherrschaft plünderten die hohen Chargen des Hitler-Regimes die Museen, um ihre privaten Sammlungen aufzufüllen. Gegen Ende des Krieges veranstaltet die anglo-nordamerikanische Luftwaffe eine verheerendes Bombardement bis von der Stadt nur noch ein Trümmerhaufen übrig ist. Ohne jede militärische Rechtfertigung verfolgt der Angriff kein anderes Ziel als angesichts des Vorrückens der siegreichen sowjetischen Armee Zerstörung zu säen.

Auferstanden aus Ruinen überwindet Dresden die verursachten Schäden. Dies ist, kurz umrissen, die schöne sächsische Stadt, die am Freitag, den 16. Juni in den Nachmittagsstunden den aus Halle kommenden Fidel empfängt, der zu einer riesigen Menschenmenge spricht, die sich auf dem zentralen Theaterplatz versammelt hat.

Der kubanische Revolutionsführer verweist auf die von der US-Regierung in Gang gesetzte Aktion, mittels derer diese – sich ihrer Marionettenregime der Hemisphäre bedienend – alle Länder Lateinamerikas mit Ausnahme Mexikos dazu gezwungen hat, ihre diplomatischen und kommerziellen Beziehungen zu Kuba abzubrechen. Andererseits ein fruchtloses Bemühen, da sich dadurch – weit entfernt davon den starken Willen des bedrohten Landes zu brechen – das revolutionäre Empfinden weiter vertieft und erweitert.

Fidel erwähnt auch die internationalistische Erziehung, die sich sein Volk in den letzten 13 Jahren angeeignet hat, eine Erziehung, die in der Solidarität mit den Völkern verankert ist, die heute um ihre Befreiung kämpfen oder zuvor darum gekämpft haben: Indochina, der Kongo, Algerien, der Mittlere Osten, Südafrika und anderswo.

In einer anderen Passage seiner Rede verknüpft Fidel die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Jugend mit dem zukünftigen Wiederaufbau der durch den US-amerikanischen Genozid in Vietnam geschädigten Gebiete.

"Millionen von Männern, Frauen und Kindern wurden in Vietnam als Opfer der imperialistischen Aggression ermordet. Deshalb besteht eine der Aufgaben, die sich die studentische Jugend der sozialistischen Länder vornehmen muss darin, dass wir, im Gegensatz zu den Imperialisten, Wissenschaft und Technik nicht zur Zerstörung anwenden, sondern dazu nutzen wollen, das Neue zu schaffen, das Leben zu verlängern, das Glück des Menschen zu fördern. Hier habt ihr als zukünftige Spezialisten die edelste aller Aufgaben, die es für den Menschen geben kann!"

Nachdem er seinen Beitrag unter Applaus beendet hat begleitet er den Ministerpräsidenten von der Tribüne bis zur berühmten Kunstgalerie im so genannten Zwinger an einer der Längsseiten des Platzes. Fidel durchquert die verschiedenen Ausstellungsräume, die der Sammlung der großen Meister gewidmet sind: Italiener, Flamen, Franzosen und Deutsche. Viele dieser Ölgemälde waren gegen Ende des Krieges – in den Tiefen eines Bergwerkes versteckt – wieder aufgetaucht.

Das Szenarium der Reise verlegt sich nach Rostock. Auf dem Ernst-Thälmann-Platz heißt ihn eine Menge willkommen. Nachdem der Festakt beendet ist, wird Fidel zu einer Rundfahrt auf der Ostsee an Bord der Jacht Ostseeland I eingeladen.

Die Delegation geht am Nordstrand von Warnemünde an Land und nimmt Kurs auf den Marinestützpunkt, der die Basis der Vierten Flotte der DDR bildet. Als feierlichen Willkommensgruß intoniert das Musikorchester die Nationalhymnen beider Länder vor dem akustischen Hintergrund von 21 Salutschüssen, die von Bord des Flagschiffes "Karl Marx" abgefeuert werden.Nach Ende der Zeremonie besteigt der Comandante en Jefe ein Schiff des Generalsstabes. Als Geschenk der Seeleute erhält Fidel die Fahne der Marine-Einheit, die Miniaturausführung eines Leuchtturms – Symbol der Stadt Rostock – und den Ehrensäbel der Galauniform der Marineoffiziere.

In der Umgebung von Rostock empfängt auch das Forschungszentrum für Tierproduktion in Dummerstorf die kubanische Delegation. Nach der Besichtigung findet ein Besuch des Ostseehafens statt und um Mitternacht hebt das Flugzeug mit den Kubanern an Bord mit Kurs auf Berlin vom Flughafen ab.

Die gesamte Reise von Fidel ist seit jenem Augenblick in Guinea, als er ein kleines Mädchen auf den Arm nimmt und ihm seine Felduniformmütze aufsetzt, von wunderschönen Momenten voller brüderlicher Solidarität und menschlicher Wärme gefärbt.

Gerade ist das gemeinsame Kommuniqué zwischen Kuba und der DDR unterzeichnet worden, als Fidel eine der Länge nach aufgerollte Landkarte in die Hand nimmt. "Ich stelle mir vor", sagt er lächelnd, "dass die Journalisten neugierig sein werden, was das hier ist: es handelt sich um eine Geheimwaffe, eine geistige Geheimwaffe."

Die geographische Darstellung zeigt einen Teil des kubanischen Territoriums im Süden der Insel in der historischen Region der Zapata-Halbinsel, nicht weit von den ruhmreichen Sandstränden von Girón.

Eine der kleinen Inseln des kubanischen Archipels heißt nun Cayo Ernst Thälmann. Über eine Landkarte gebeugt erklärt Fidel, wie anlässlich einer Bootsfahrt des Comandante Raúl Castro mit einer deutschen Delegation die Idee entstanden ist. Danach setzt der Premierminister sein handschriftliches Zeichen auf die Karte, und der Erlass Nummer 3676 macht die Initiative amtlich. "Dies ist ein Platz", so fügt Fidel hinzu, "den wir gut kennen und den wir sehr schätzen. Es handelt sich um einen historischen Ort und scheint mir einen guten Rahmen zu bieten, um Ernst Thälmann die Ehre zu erweisen."

Nachmittags ist die geräumige Sporthalle von Dynamo der Treffpunkt. Dort findet die Ehrung zum Abschied von Fidel statt. Als beständiges Element all seiner Äußerungen während der ganzen Reise, die am vergangenen 3. Mai in Guinea begonnen hat, spricht Fidel von Vietnam, das in seinem Drittweltzusammenhang vom Imperialismus angegriffen und ausgeplündert wird, und in dem Armut und technische und kulturelle Rückständigkeit vorherrschen.

Der Besuch wird durch einen Empfang gekrönt, der an diesem Abend seitens der kubanischen Delegation gegeben wird. Am Mittwochmorgen reist die ganze Gesandtschaft nach acht Tagen in der DDR nach Prag ab.

Zwischen dem Demokratischen Deutschland und der Tschechoslowakei weicht der Empfang in einem Punkt ab: In Berlin war das Wetter dunstig und kalt; in Prag dagegen ist der Himmel wolkenlos und es scheint die Sonne. Was sich nicht unterscheidet ist die herzliche Zuneigung zu Fidel.

"Fidel por el Mundo", Luís Báez, Casa Editora Abril, 2011, Ciudad de La Habana/ Cuba, S. 163-169

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