Ecuador / Politik

Ecuador: Als Linker gewählt, als Rechter an der Regierung

Präsident Lenín Moreno hat sich mit seinen ehemaligen politischen Gegnern verbündet, um eine konservative Wirtschaftsagenda umzusetzen

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Einst Weggefährten, heute erbitterte Gegner: Ecuadors amtierender Präsident Lenín Moreno und sein Vorgänger Rafael Correa bei der Amtsübergabe im April 2017
Einst Weggefährten, heute erbitterte Gegner: Ecuadors amtierender Präsident Lenín Moreno und sein Vorgänger Rafael Correa bei der Amtsübergabe im April 2017

Beginnen sich die sozialen Bedingungen in Ecuador zu verschlechtern? In einem im Juni 2018 veröffentlichten Bericht des Nationalen Ecuadorianischen Instituts für Statistik und Zensus zu Armut und Ungleichheit wurde festgestellt, dass sich die Armut zwischen Juni 2017 und Juni 2018 leicht erhöht hat, wobei 24,5 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten, verglichen mit 23,1 Prozent im Vorjahr. Diese Zahlen mögen gering erscheinen, könnten aber ein Zeichen für die weitere Entwicklung sein, wenn die ecuadorianische Regierung unter Lenín Moreno die Wirtschaftspolitik zugunsten von Sparpolitik und Deregulierung weiterführt.

Die politischen und wirtschaftlichen Aussichten waren gänzlich anders, als die Mitte-Links-Regierungspartei Alianza País (AP) bei den Wahlen im April 2017 die Mehrheit der Abgeordnetensitze gewinnen konnte und Moreno sich knapp gegen den neoliberalen Bankier Guillermo Lasso durchsetzen konnte. Die lateinamerikanische Linke war erleichtert, denn der Trend nach rechts schien gebrochen. Politische Beobachter erwarteten, dass Moreno die progressive Politik fortsetzen würde, die sein Vorgänger Rafael Correa während seiner Amtszeit im Rahmen der Bürgerrevolution vorangetrieben hatte. Erwartet wurde aber auch ein stärker dialogorientierter und weniger konfrontativer Politikstil. Sobald er jedoch im Amt war, wandte sich Moreno rasch von seinen Wahlversprechen ab und regierte im Sinne einer rechtsgerichteten neoliberalen Agenda, die die Errungenschaften der Bürgerrevolution bereits weitgehend abgeschafft hat und nun droht, sie völlig zu begraben.

AP ist jetzt gespalten. Moreno, der von 2007 bis 2013 Vizepräsident von Correa war, hat die Parteiführung ausgetauscht und ihre Prioritäten geändert. Correa und seine Unterstützer haben die Partei im Januar 2018 verlassen. Mit fadenscheinigen Begründungen wird ihnen die Bildung eigener Parteistrukturen verwehrt. So konnten sie zu den im März dieses Jahres abgehaltenen Kommunal- und Regionalwahlen nicht mit einer eigenen Liste antreten. Inzwischen hat AP unter der Führung von Moreno viel von ihrer früheren Unterstützung verloren. Seit seiner Amtseinführung wurde er nicht müde zu behaupten, seine Regierung habe von Correa eine wirtschaftliche und institutionelle Krise geerbt und neoliberale Strukturanpassungs- und Sparpolitik als Lösung zu präsentieren.

Dabei diskreditierten Moreno und seine Verbündeten Infrastrukturprojekte der Correa-Ära sowie grundlegende Bildungs- und Technologieprojekte wie das Innovationszentrum "Yachay – Stadt des Wissens“ (Ciudad del Conocimiento Yachay) als Beispiele für Korruption und Missmanagement. Moreno wies auch darauf hin, dass die kürzlich generalüberholte Ölraffinerie in Esmeraldas schwer beschädigt sei. Allerdings wurde die geplante vorübergehende Stilllegung aller Risiken zum Trotz wiederholt verschoben, bis sie schließlich im März 2019 durchgeführt wurde.

Bei seiner Verleumdungskampagne gegen seinen Vorgänger im Amt schreckte Moreno nicht vor der skurrilen Behauptung zurück, dieser habe eine Kamera im Präsidentenpalast installieren lassen, um ihn zu überwachen. In der eindeutigen Absicht politischer Verfolgung versuchten die neuen Machthaber zudem mehrfach, Correa vor Gericht zu bringen. Einer der Versuche bestand darin, Correa ohne nennenswerte Beweise wegen angeblicher Entführung anzuklagen. Den Wunsch Ecuadors, einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen Präsidenten auszugeben, lehnte Interpol jedoch unter Berufung auf die Menschenrechte ab. Die juristische Verfolgung Correas dient eindeutig dazu, dessen Rückkehr nach Ecuador abzuwenden, um die Entstehung einer starken Bewegung gegen Morenos neoliberale Restauration zu verhindern. Bei der Auseinandersetzung zwischen Moreno und Correa handelt es sich um weit mehr als eine persönliche Fehde zwischen zwei führenden Politikern. Keine zwei Jahre nach seiner Amtseinführung ist bewiesen, dass Moreno eine rechte Agenda umsetzt, obwohl er als Kandidat der Linken gewählt wurde.

Die Bürgerrevolution

Die von Rafael Correa von 2007 bis 2017 angeführte Bürgerrevolution folgte auf eine Phase hoher Instabilität und Unzufriedenheit mit dem neoliberalen Entwicklungsmodell. In dieser Periode waren einflussreiche und politisch gut vernetzte Unternehmensgruppen in der Lage, Sonderregelungen auszuhandeln und durch Kartelle und Monopole Renteneinnahmen zu erzielen. Zwischen 1996 und 2006 konnte kein gewählter Präsident seine Amtszeit abschließen.

In den späten 1990er Jahren geriet Ecuador in Folge der Deregulierung der Finanzmärkte in eine schwere Krise. Die Wirtschaftsleistung brach ein und der Staat musste Milliarden aufwenden, um die Banken zu retten. Der damalige Präsident Jamil Mahuad, dessen Regierung eng mit dem Finanzsektor verbunden war, wurde schließlich Anfang 2000 in einem Volksaufstand gestürzt, kurz nachdem die offizielle Dollarisierung des Landes angekündigt worden war.

Schon vor der Krise hatte die Ungleichheit massiv zugenommen. Zwischen 1999 und 2005 verließen hunderttausende Ecuadorianer das Land, sie emigrierten hauptsächlich nach Spanien und in die USA. Die Rücküberweisungen (remesas), die sie nach Hause schickten, und die steigenden Öleinnahmen waren für die wirtschaftliche Erholung des Landes von entscheidender Bedeutung. Während sich Ecuador von der Wirtschaftskrise erholen konnte, hielt die politische Instabilität jedoch an. 2005 wurde der nächste gewählte Präsident, Lucio Gutiérrez, gestürzt. Der Slogan "Que se vayan todos" ("Sie sollen alle abhauen") zeigte, dass die Proteste sich gegen das gesamte politisch-wirtschaftliche Establishment richteten.

Die Wahl von Correa markierte eine grundlegende Veränderung der ecuadorianischen Politik. Im Rahmen der Bürgerrevolution (Revolución Ciudadana) wurde 2008 eine der fortschrittlichsten Verfassungen der Welt ausgearbeitet, die in einer Volksabstimmung verabschiedet wurde und soziale und kulturelle Rechte sowie eine stärkere Rolle des Staates vorsieht und sich am Leitbild einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung orientiert. Angesichts der Unzufriedenheit mit dem etablierten Parteiensystem und dessen Bindung an die Wirtschaftseliten waren die Maßnahmen von Correa zur Begrenzung des Einflusses der Interessengruppen besonders beliebt. Seine Zustimmungsrate lag 2007 bei fast 74 Prozent und fiel laut Latinobarometro nur im Jahr 2016 unter 50 Prozent.

Die Regierung Correa verdankte einen Großteil ihrer Popularität ihren massiven Investitionen in öffentliche Infrastruktur, Straßen, Wasserkraftwerke, Schulen, Gesundheitszentren und andere Projekte. Um die Abhängigkeit von den volatilen Öleinnahmen zu reduzieren, kämpfte die Regierung gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung an, was zu einem erheblichen Anstieg der Steuereinnahmen einschließlich der Einnahmen für die soziale Sicherheit von 12,7 Prozent im Jahr 2006 auf 20,5 Prozent im Jahr 2015 führte. Öleinkünfte wurden nicht länger bei geringen Zinsen außer Landes angelegt, sondern zur Stärkung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur in Ecuador genutzt. Viele dieser Investitionen tragen zur Stabilisierung der heutigen Außenhandelsbilanz bei. Ecuadors Wirtschaftswachstum pro Kopf betrug zwischen 2006 und 2016 durchschnittlich 1,5 Prozent und lag damit deutlich über der Wachstumsrate von 0,6 Prozent zwischen 1980 und 2006. Der Anteil der Einwohner mit nicht befriedigten Grundbedürfnissen sank von 52 Prozent im Jahr 2006 auf weniger als 36 Prozent im Jahr 2014.

Die Regierung sah sich jedoch der Kritik ausgesetzt, sie habe eine extraktivistische Agenda durchgesetzt und sei bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Naturrechte in die Praxis nicht weit genug gegangen. Die Beziehungen der Regierung zu sozialen Bewegungen und Gewerkschaften waren angespannt. Soziale Bewegungen opponierten gegen Correas Ablehnung eines schnellen Übergangs weg vom Extraktivismus, der seit langem ein Eckpfeiler der ecuadorianischen Wirtschaft ist. Gleichzeitig sahen sich einige der besser organisierten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGO), die vor der Bürgerrevolution unter den vorherigen Regierungen Einflussnischen gewonnen hatten, unter der Regierung Correa von der politischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Als Correa damit begann, eine anti-korporatistische Agenda durchzusetzen, waren die am stärksten betroffenen Gruppen Elitenvertreter, aber auch Gewerkschaften und NGO verloren an Präsenz im Staatsapparat. Infolgedessen begannen diese Gruppen, sich gegen die Regierung zu stellen.

Darüber hinaus förderte der mitunter konfrontative Stil der Regierung Correa Konflikte mit sozialen Bewegungen. Versuche der Regierung, der Umwelt-NGO Acción Ecológica den Rechtsstatus zu entziehen, trugen sicherlich ebenso zum Narrativ von einer autoritären Regierung bei, wie ihre Versuche, die indigene Föderation Conaie aus ihrem Hauptsitz in Quito zu verdrängen, was mit fortgesetzten Verstößen gegen die rechtlichen Nutzungsbedingungen begründet wurde. Während die Regierung von Correa Gewalt von regierungsfeindlichen Gruppen anprangerte, sahen Aktive der Indigenen- und Umweltbewegung in der Unterstützung des Extraktivismus durch die Regierung die Ursache für Gewalt. Obwohl diese Bewegungen Correa in einigen Fällen vorwarfen, nicht weit genug gegangen zu sein, war es doch die Bürgerrevolution, die mehr für den Umweltschutz tat als die meisten anderen Parteien. Dem Versprechen einer stärkeren Einbeziehung von Indigenen- und Umweltbewegung und einer insgesamt größeren Dialogbereischaft ist auch die anfängliche Unterstützung Morenos durch soziale Bewegungen hauptsächlich geschuldet.

Die Bürgerrevolution trat 2014 in eine schwierige Phase, vor allem aufgrund des Ölpreisverfalls. Die Ölexporte fielen von rund 13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014 auf etwas mehr als fünf Milliarden US-Dollar im Jahr 2016. Die Gesamtexporte sanken von 25,8 Milliarden US-Dollar auf nur 16,8 Milliarden US-Dollar. Ein verheerendes Erdbeben im Jahr 2016 verschlimmerte die Situation. Aufgrund der Dollarisierung hatte die Regierung keine Möglichkeit, dem durch Anpassung des Wechselkurses zu begegnen. Der Kreditbedarf stieg, während gleichzeitig die Zinssätze für neue Kredite anstiegen. Ecuadors Wirtschaftsleistung stagnierte 2015 und sank 2016 nach ECLAC-Zahlen um 1,2 Prozent.

Die Regierung Correa stand unter dem Druck, radikalere Schritte in Richtung Sparpolitik zu unternehmen, die die Krise vertieft hätten. Stattdessen entwickelte sie kreative Mechanismen, um den Erschütterungen von außen standzuhalten und die Wirtschaft zu stabilisieren, beispielsweise durch die Verwendung von direkten Darlehen der Zentralbank an die Regierung. In Anbetracht der Schwere der unerwarteten Ereignisse und der begrenzten Reaktionsfähigkeit einer dollarisierten Wirtschaft war der wirtschaftliche Abschwung im Vergleich zu früheren Krisen überraschend mild und kurz. Bereits 2017 wuchs die Wirtschaft wieder.

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Trotzdem machte Ecuadors konservative Opposition einen angeblich großen und unproduktiven Staatsapparat als Ursache für einen beispiellosen wirtschaftlichen Zerfall aus. Obwohl die Korruption bei großen Infrastrukturprojekten zweifellos eine Rolle gespielt hat, sind die Berichte in den Privatmedien übertrieben. Insbesondere nutzten die Gegner die Korruptionsskandale um das staatliche Ölunternehmen Petroecuador und das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht, um die Geschichte eines verrotteten Staatsapparats zu verbreiten. Es bedürfe daher einer radikalen Änderung der Entwicklungsstrategie des Landes.

Durch die Übernahme des Deutungsrahmens der rechten Parteien legitimierte Moreno die neoliberale Politik und die Rückkehr der Wirtschaftseliten in die höchsten Stellen der Staatsmacht. So erklärte Moreno nach seiner Wahl, dass er im Gegensatz zu Correa die Korruption bekämpfen und die angeblich überbordenden Staatsschulden reduzieren werde. Dabei war die Netto-Staatsverschuldung, die aussagekräftiger als die Bruttoverschuldung ist, bei seinem Amtsantritt noch relativ niedrig. Im Mai 2017 hatte sie 27,7 Prozent erreicht (12,2 Prozent im Jahr 2009), war jedoch noch weit von den 65,1 Prozent des Jahres 2000 entfernt.

Anfang 2018 verschaffte sich Moreno durch ein sieben Fragen beinhaltendes Referendum Unterstützung für wichtige institutionelle Veränderungen. Das Referendum wurde im Februar des vergangenen Jahres ohne Prüfung und Zustimmung des Verfassungsgerichts durchgeführt. Ihm fehlten die grundlegenden Bedingungen für eine faire Abstimmung. Die gestellten Fragen waren irreführend: So wurde beispielsweise vorgeschlagen, das zulässige Gebiet für die Ölförderung im Nationalpark Yasuní von 1.030 auf 300 Hektar zu beschränken. Die staatseigene Förderfirma Petroamazonas hatte jedoch schon lange vor dem Referendum erklärt, lediglich 236 Hektar des Nationalparks für die Erdölförderung zu benötigen. Dies bedeutet, dass diese Frage des Referendums in der Praxis wenig bedeutete. Um die Unterstützung umweltbewusster und fortschrittlicher Bürger zu gewinnen, schlug Moreno außerdem vor, die Schutzzone um fast 60.000 Hektar zu erweitern. Gleichzeitig lockerte er aber die Beschränkung der Ölförderung und des Tourismus in den Pufferzonen in der Nähe des Parks.

Inzwischen hat der Versuch der Regierung, eine Steuer auf Sondergewinne im Immobiliensektor aufzuheben, die Verbindung der Moreno-Administration mit dem durch Spekulation und Insiderwissen geprägten Immobiliensektor gezeigt. Ohne Beweise bezeichnete die Regierung das Gesetz als Ursache für den Abschwung im Bausektor.

Eines der Hauptziele der Volksbefragung bestand jedoch darin, eine zukünftige Rückkehr von Correa ins Präsidentenamt durch ein Verbot seiner Wiederwahl zu verhindern und den Rat für Bürgerbeteiligung und soziale Kontrolle (CPCCS) abzulösen. Der autonome CPCCS, der für die Ernennung von Behörden in verschiedene Bundes-, Wahl- und Justizämter zuständig gewesen war, war unter Correa Teil der Bemühungen, die Besetzung von Ämtern transparent zu machen. Die neue Regierung bezeichnete seine Mitglieder als zu Correa-nah und machte sie für die Auswahl von Beamten verantwortlich, die sich als korrupt erwiesen hatten. Anstatt nach Wegen zu suchen, dem CPCCS die Autonomie zu belassen, gab das Referendum allein der Exekutive das Recht, die Mitglieder eines neuen Übergangsrats (CPCCS-T) zu ernennen.

Diesem Übergangsrat wurden weit über die Verfassung hinausgehende Befugnisse zur Bekämpfung der Korruption eingeräumt. Der Präsident des CPCCS-T, Julio César Trujillo, veranlasste die Entlassung dutzender hochrangiger Beamter im Justizministerium und den staatlichen Aufsichtsbehörden und ernannte Interimsnachfolger. Im August 2018 wurden die Richter des Verfassungsgerichts vom CPCCS-T gesperrt. Es wurde behauptet, ihre Vorgänger im ursprünglichen CPCCS hätten bei der Ernennung der Richter nicht unabhängig gehandelt. Obwohl in einem fragwürdigen Verfahren neue Richter ausgewählt wurden, ist Ecuador trotzdem seit Monaten ohne Verfassungsgericht.

Heute kümmert sich die Regierung Moreno um die Interessen rentenorientierter Sektoren, deren Einfluss die Correa-Regierung mit einigem Erfolg einschränken konnte. Nachdem Moreno das Wirtschaftsteam von Correa anfangs weitgehend intakt gelassen hatte, ersetzte er bald die verbliebenen progressiven Ökonomen durch neoliberale Ideologen und Vertreter der Interessen des privaten Sektors. Vor allem mit der Ernennung von Richard Martínez, dem früheren Präsidenten des ecuadorianischen Wirtschaftsausschusses, zum Finanzminister im Mai 2018 markierte er eine radikale Rechtsverschiebung im Vergleich zu seinem ersten Finanzminister Carlos de la Torre. Als nunmehr dritter Finanzminister ist Martínez der erste, der Morenos Zahlen über die Schulden des Landes akzeptiert. Die von diesem genannten Schulden in Höhe von rund 60 Milliarden US-Dollar sind eine absichtliche Übertreibung, da sie Verbindlichkeiten wie Geldbußen aus internationalen Schiedsverfahren, die normalerweise nicht als öffentliche Schulden gelten sowie potenzielle Geldbußen, die in Zukunft zu Verbindlichkeiten werden können, umfassen.

Offensichtlich verwendete Moreno diese Methode der Berechnung, um Correa vorwerfen zu können, dass er die offizielle Grenze für die Staatsverschuldung überschritten habe, die von der Bürgerrevolution auf 40 Prozent des BIP festgelegt worden war, und um daraus eine weitere Klage gegen Correa zu konstruieren. Dies hat zusammen mit anderen Maßnahmen das Vertrauen der Anleger in Ecuadors Fähigkeit, seine Schulden zu bedienen, untergraben und die Risikoprämien für Staatsanleihen trotz steigender Ölpreise erhöht. So wurde die Fähigkeit des Landes eingeschränkt, seine öffentliche Verschuldung auf wirksame Weise effektiv umzustrukturieren. Im Februar 2019 erzielte Ecuador mit dem IWF einen Darlehensvertrag sowie weitere Kredite der Weltbank und anderer Finanzinstitute. Die Informationen zu den Bedingungen und Konditionen sind noch begrenzt - massive Entlassungen im öffentlichen Sektor in jüngster Zeit könnten ein erster Hinweis sein.

Ohne eine Wahl zu gewinnen, sind die wirtschaftlichen Eliten und ihre Vertreter unter Moreno allmählich wieder an die entscheidenden Machthebel im Staat zurückgekehrt, indem er Vertreter der Rechten in Spitzenämter setzte. Nachdem der gewählte Vizepräsident Jorge Glas mit Korruptionsvorwürfen aufgrund von wackligen Beweisen inhaftiert worden war, wurde Maria Alejandra Vicuña Morenos zweite Vizepräsidentin. Vicuña, eine langjährige Unterstützerin der Bürgerrevolution, ehemalige Parlamentarierin und Mitglied der linken Bolivarischen Alfaristen-Allianz (ABA) - einer zur Alianza País gehörenden Partei - begann angebliche Korruption innerhalb der Bürgerrevolution anzuprangern, musste aber selbst wegen Korruptionsvorwürfen zurückzutreten. Sie hatte angeblich ihr Büropersonal im Parlament dazu gezwungen, einen kleinen Teil ihres Gehalts auf ihr persönliches Bankkonto einzuzahlen, von dem sie später erklärte, dass das Geld der ABA-Bewegung zugutekommen sollte.

Ende 2018 wurde der Radio-Unternehmer Otto Sonnenholzner von Moreno zum dritten Vizepräsidenten ernannt. Während Vicuña, deren linker Hintergrund kein Vertrauen bei wirtschaftlichen Eliten weckte, mit knapper Mehrheit gewählt worden war, wurde Sonnenholzner von Morenos AP und den wichtigsten rechten Parteien unterstützt. Die parlamentarische Fraktion der Bürgerrevolution, die loyal zu Rafael Correa stand, stimmte gegen Sonnenholzner. Die Korruption von Vicuña wurde offenbar zur Vertuschung größerer Skandale genutzt, wie zum Beispiel Tausende von nicht genehmigten Bankschulden für den angeblichen Abschluss von Versicherungspolicen ohne Zustimmung der Kunden. Auch Meldungen über Offshore-Fonds, die offenbar für die Ausstattung von Morenos Apartment in Genf verwendet worden waren, verschwanden aus dem medialen Fokus. Letzteres war die Spitze des Eisbergs eines viel größeren Skandals um Bestechungsgelder und Offshore-Bankkonten rund um Moreno. Um den Präsidenten zu schützen, haben die ecuadorianischen Institutionen bisher Forderungen nach einer Untersuchung dieser Ereignisse blockiert.

In der Zwischenzeit hat Morenos Politikgestaltung die Fähigkeit des Staates, private Wirtschaftstätigkeiten zu überwachen, zu kontrollieren und zu regulieren, stark beeinträchtigt. Nach dem Referendum von 2018 begann die Regierung, die neoliberale Wirtschaftspolitik direkter zu propagieren und umzusetzen. Das geschieht durch die im Juni 2018 verabschiedete neue Wirtschaftspolitik Morenos. Zu ihren Maßnahmen gehören die Liberalisierung des Außenhandels, die Einführung neuer Steuerausnahmen, die Schaffung von Steuerschlupflöchern sowie die Beseitigung von Kapitalbarrieren gegen die Flucht in Steueroasen und Umsetzung von Sparmaßnahmen. Das Gesetz verbietet der Zentralbank die Kreditvergabe an die Regierung und verlangt von öffentlichen Banken und Sozialversicherungen, dass sie in private Anleihen und Aktien investieren. Das Gesetz verringert auch den Spielraum in der Geldpolitik trotz der Dollarisierung, ein Versuch, Haushaltsdisziplin durchzusetzen. Gleichzeitig enthält das Gesetz eine Amnestie für Milliarden von unbezahlten Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerzahlungen.

Die Grenzen der konservativen Restauration

In den ersten Monaten seiner Amtszeit schien sich Morenos Wende gegen seinen Vorgänger politisch zunächst mit einem Anstieg der Zustimmungswerten auszuzahlen. Er konnte sich auf ein breites Bündnis linker und rechter Kritiker von Correa verlassen. Private Medien, die Correa zutiefst feindlich gesinnt waren, gaben seiner Sache Auftrieb.

Fabrizierte Skandale, Medienspektakel und der Diskurs eines repressiven Staates unter Correa haben es Moreno ermöglicht, die Bürgerrevolution abzubauen und das Vertrauen in den öffentlichen Sektor zu untergraben. Währenddessen wird Morenos Behauptung, dass seine Regierung eine schwere Wirtschaftskrise und ein hochverschuldetes Land geerbt habe, zur Rechtfertigung wirtschaftlicher Anpassung herangezogen.

Ende 2018 zum Beispiel erhöhte seine Regierung den Preis für Kraftstoffpreis, was langfristig durchaus ein positiver Schritt für die Umwelt sein kann, jedoch kurzfristig wachsende Unzufriedenheit unter der Bevölkerung auslösen und die Kaufkraft von Ecuadors Verbrauchern schwächen wird. Da Moreno offensichtlich eine konservativ-neoliberale Agenda verfolgt, distanziert sich inzwischen eine wachsende Zahl sozialer Bewegungen und der so genannten Sectores Populares von seiner Regierung. Die neoliberale Politik der Regierung hat bisher nicht zu dem versprochenen wirtschaftlichen Erfolg geführt, und reflexhaft wiederholte Versuche, Correa für alle Probleme verantwortlich zu machen, verlieren an Wirksamkeit. Die Verschlechterung der sozialen Bedingungen, die wir bereits gesehen haben, ist eine Warnung, dass Ecuador Gefahr läuft, in die gleiche Art von Instabilität und politischen Krisen zurückzufallen, die die Zeit vor der Bürgerrevolution geprägt hat.