Kolumbien / Politik

ELN-Sprecher: Die USA sabotieren die Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts in Kolumbien

Interview mit Pablo Beltrán, Mitglied des Zentralkommandos der ELN und Leiter des Verhandlungsteams

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Wandbild: "Der Frieden Kolumbiens ist der Frieden unseres Amerikas"
Wandbild: "Der Frieden Kolumbiens ist der Frieden unseres Amerikas"

Israel Ramírez alias "Pablo Beltrán" leitet die Verhandlungsdelegation der Guerilla Nationale Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN) in Havanna. David Graaff sprach mit ihm über die Rolle der USA im kolumbianischen Konflikt und die Aussichten auf die Fortsetzung der seit 2018 ausgesetzten Friedensgespräche mit der Regierung von Präsident Iván Duque.

Anfang Mai landeten 50 US-Soldaten einer Spezialeinheit in Bogotá. Offiziell sollen sie die kolumbianische Regierung bei der Bekämpfung des Drogenhandels unterstützen und beraten. Welche Rolle spielen die USA und der Kampf gegen den Drogenhandel im Kolumbianischen Konflikt?

Ich war 1974 Student an der Universität, als der kolumbianische General Lema Henao sich weigerte, seine Truppen in den Kampf gegen die Drogenhändler der La Guajira [Halbinsel im Nordosten Kolumbiens] einzusetzen. Sein Argument war, die Mafia würde seine Offiziere und Soldaten korrumpieren. Lema Henao wurde gefeuert, weil der Befehl von US-Präsident Richard Nixon selbst kam, der gerade seinen Krieg gegen die Drogen begann. Heute, ein halbes Jahrhundert später, haben die Kokainkartelle ganze Armeebrigaden wie die 3. Brigade in Cali und die 11. Brigade in Montería in der Hand.

Die Entsendung der SFAB-Brigade (U.S. Security Force Assistance Brigade) ist ein weiteres Kapitel des Krieges, den die USA in Kolumbien seit den 1950er Jahren führen. Damals schon unterstützten sie die Regierung im Kampf gegen die ersten Guerillas, später unterrichteten sie das Militär in paramilitärischer Aufstandsbekämpfung, beteiligten sich an der Jagd auf Pablo Escobar, berieten 20 Jahre lang ebenso wie Israel die Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (Autodefensas Unidas de Colombia, AUC), setzten ab 1998 den Plan Colombia durch und verlegten 2009 sieben Militärbasen nach Kolumbien. Unser Land wurde dadurch zu einem Vorposten für Operationen in ganz Südamerika.

Die Beweise für das Scheitern dieses Krieges gegen die Drogen wiederum sind vielfältig. Trumps Befehl, die Kokaplantagen in Kolumbien wieder mit Glyphosat zu besprühen ist nur ein Beispiel dafür. Damit werden die freiwilligen Substitutionsprogramme für den Anbau von Kokapflanzen beerdigt, die Teil des Friedensabkommens sind, das 2016 mit den Farc-EP unterzeichnet wurde.

Was bedeutet das für eine friedliche Lösung des Konflikts in Kolumbien?

Die USA respektieren den Versuch nicht, Frieden in Kolumbien zu erreichen. Im Sinne ihrer Idee der hybriden Kriegsführung sind sie eher daran interessiert, sich mit den Kokainkartellen zu verbünden, um ihre Offensive gege Venezuela voranzutreiben. Das jüngste Beispiel war der Einfall der Söldnertruppe vergangenen Monat, die von La Guajira aus gestartet ist. Sie wurden von den dortigen Narco-Paramilitärs ausgebildet und logistisch unterstützt.

Diese Drogenkartelle sind Verbündete der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA und waren wiederum diejenigen, die Druck ausübten und Stimmen kauften, die Iván Duque im Juni 2018 zum Präsidenten Kolumbiens machten.

Dadurch sabotieren die USA die Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts in meinem Land. Sie wollen Kolumbien in einen Krieg gegen Venezuela hineinziehen. Glücklicherweise ist eine Mehrheit der Kolumbianer der Ansicht, dass ein Krieg gegen eine Nachbarnation sehr dumm wäre, da wir damit anderen und uns selbst schaden würden.

Ein Vorwurf der Regierung Duque lautet, Venezuela unterstütze die ELN, indem sie ihre Präsenz auf venezolanischen Staatsgebiet dulde. Stimmt es, das die ELN auch in Venezuela operiert?

Wir sind nur an der 2.200 Kilometer langen Grenzlinie präsent, wo indigene und bäuerliche Gemeinschaften auf beiden Seite der Grenze leben, aber unsere Guerilla ist nicht binational.

Vor kurzem ernannte die Regierung Duque zwei ehemalige ELN-Kommandanten, Carlos Velandia und Francisco Galán, zu sogenannten Friedensvermittlern, die Wege zur Wiederaufnahme der im Januar 2019 abgebrochenen Friedensgespräche ausloten sollten. Warum ist das bislang nicht gelungen?

Ex-Präsident Álvaro Uribe führt seit Beginn des Friedensprozesses im Jahr 2012 eine Kampagne dagegen. Durch seine Rückkehr an die Präsidentschaft vermittels seines Anhängers [gemeint ist Iván Duque, der als Ziehsohn Uribes gilt, Anm. d. Red.], setzt er sein Vorhaben, den "Frieden in Stücke zu reißen” in die Tat um. Aus diesem Grund hat er die mit der vorherigen Regierung [von Juan Manuel Santos, 2010 – 2018] unterzeichneten Friedensabkommen mit der ehemaligen Farc-Guerilla auf deren Auflösung reduziert, während er in Bezug auf die ELN erklärte, er sei nicht daran interessiert, Friedensgespräche zu führen.

Im März erklärte die ELN einen einseitigen Waffenstillstand. Warum wurde er nicht verlängert, wie auch zivilgesellschaftliche Organisationen gefordert hatten?

Die Erklärung eines Waffenstillstands folgte einem entsprechenden Aufruf der Vereinten Nationen und des Vatikans anlässlich der Coronavirus-Pandemie. Das kolumbianische Militär und die Paramilitärs aber haben die Feuerpause dazu genutzt, in von uns besetzte Gebieten vorzudringen, was zu einer Zunahme der Angriffe auf Führungspersönlichkeiten sozialer Bewegungen geführt hat. Wir haben den Waffenstillstand nicht verlängert, um Operationen zum Schutz der angegriffenen Gebiete durchführen zu können.

Sollte der UN-Sicherheitsrat eine Resolution zu einem weltweiten Waffenstillstand verabschieden, wird die Regierung Duque vielleicht diesmal dem Aufruf folgen und wir können eine beidseitige Feuerpause schließen.

Um die Friedensgespräche zu ermöglichen, hatten die Farc vor Verhandlungsbeginn 2012 die Entführungen eingestellt. Warum fällt der ELN dieser Schritt, wie ihn die Regierung verlangt, so schwer?

Wir sind sind sofort bereit, Friedensgespräche aufzunehmen, allerdings ohne Vorbedingungen. Die Antwort der Regierung besteht darin, uns Dutzende von Vorbedingungen zu stellen. Das ist ihre Form zu sagen, dass sie nicht an einer politische Lösung des Konflikts interessiert ist und sie sich nicht auf friedliche gesellschaftliche Transformation einlassen will.

Im Mai setzte das US-Außenministerium Kuba auf eine Liste der Länder die den internationalen Terrorismus unterstützen. Als Grund wurde die Anwesenheit des ELN-Verhandlungsteams genannt. Inwiefern beeinträchtigt dies die Wiederaufnahme der Friedensgespräche?

In den 2016 mit der Regierung Santos geschlossenen Vereinbarungen zu Friedensgesprächen, das auch sechs Garantiestaaten mit unterzeichneten, ist unter anderem ein Protokoll für unsere Rückkehr festgelegt, falls die Gespräche scheitern. Als die Regierung Duque [im Januar 2019, Anm. d. Red.] beschloss, die Friedensgespräche nicht wieder aufzunehmen, forderten wir sie auf, das Rückkehrprotokoll anzuwenden, aber sie weigerte sich mit dem Argument, sie habe es nicht unterzeichnet.

Die vereinbarte Verhandlungsagenda und Protokolle sind international gültige Abkommen, die dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen unterliegen und für die Staaten bindend sind.

Können Sie sich vorstellen, was los wäre, wenn irgendein Garantiestaat behauptet, solche Protokolle seien ungültig? Wie wären die Nordkoreaner nach dem Scheitern des Treffens mit Donald Trump aus Vietnam zurückgekehrt? Wie würden die Taliban nach mehreren gescheiterten Verhandlungen mit den USA aus Katar zurückkehren?

Duque handelt gleich doppelt niederträchtig. Er leugnet ein staatliches Abkommen und fordert Kuba zugleich auf, seine Verpflichtungen als Garantiestaat zu brechen, indem er unsere Gefangennahme und Auslieferung verlangt.

Als Kuba sich weigerte, internationales Recht zu verletzen, beschuldigte Duque Kuba gegenüber Trump, woraufhin dieser es auf besagte Liste setzte. Der Vorwurf lautet, dass Kuba unsere Verhandlungsdelegation schützt, obwohl die ELN auf einer Liste terroristischer Organisationen steht, die von den USA 2001 erstellt wurde.

Werden Sie und die Verhandlungsdelegation notfalls Asyl in Kuba beantragen?

Das schließen wir aus. Wir sind weiterhin zur Wiederaufnahme der Gespräche bereit, bestehen aber auf Konsultationen in Kolumbien, für die das Rückkehrprotokoll aktiviert werden muss.