Venezuela / Politik

Warum Venezuela jetzt auch noch zwei Parlamentspräsidenten hat

Andauernde Debatte um Doppelwahl zum Präsidium der Nationalversammlung in Caracas. USA drohen mit Sanktionen, Russland spricht von Verfassungstreue

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Wollte nicht durch den Haupteingang ins Parlament: Juan Guaidó
Wollte nicht durch den Haupteingang ins Parlament: Juan Guaidó

Caracas. Nach der Wahl eines neuen Präsidiums der Nationalversammlung in Venezuela hat der bisherige Amtsinhaber Juan Guaidó über ein paralleles Gremium unter seiner Leitung abstimmen lassen. Bei einer improvisierten Sitzung oppositioneller Abgeordneter im Gebäude der regierungskritischen Tageszeitung El Nacional ließ er sich ebenfalls am Sonntag als Präsident des Parlaments wiederwählen. Für ihn sollen 100 oppositionelle Abgeordnete gestimmt haben, darunter die Mitglieder der Fraktion 16 de Julio, die bisher eine ebenso kritische Haltung gegenüber Präsident Nicolás Maduro und Guaidó eingenommen hat. Zuvor war bei einer Skandalsitzung in der Nationalversammlung der Oppositionspolitiker Luis Parra zum Nachfolger Guaidós bestimmt worden.

"Ich bin dankbar für die Ehre, die Sie mir erwiesen haben", sagte Guaidó Minuten vor seiner Wiederwahl. Er votierte nach eigenen Angaben selbst für die Verlängerung seiner Amtszeit. "Ich schwöre vor Gott und vor dem venezolanischen Volk, diese Verfassung und die Pflichten, die mit dem Amt des Parlamentspräsidenten und des Interimspräsidenten verbunden sind, durchzusetzen", sagte er nach der Abstimmung. Guaidó hatte sich nach seiner Wahl vor einem Jahr selbst zum Interimspräsidenten ernannt und begründet dies mit seiner Funktion an der Spitze des Parlaments. Er wird von rund 60 Staaten anerkannt, darunter meist westliche und rechtsgerichtete lateinamerikanische Regierungen.

Juan Pablo Guanipa von der Partei Zuerst Gerechtigkeit (Primero Justicia), dessen Immunität vom Obersten Gerichtshof aufgehoben worden war, und Carlos Eduardo Berrizbeitia von der Partei Projekt Venezuela (Proyecto Venezuela) wurden bei der Parallelsitzung zum ersten bzw. zweiten Vizepräsidenten gewählt.

Zuvor hatte Guaidó mit der Wahl Parras zum neuen Parlamentspräsidenten sein Amt verloren. Neben Parra waren im Parlament zwei Vizepräsidenten bestimmt worden, ebenfalls aus den Reihen der Opposition. Es handelt sich um Franklin Duarte von der christdemokratischen Partei Copei und José Gregorio Goyo Noriega von Guaidós Partei Volkswille (Voluntad Popular). Die Minderheitsfraktion in der Nationalversammlung, der Patriotische Block, das Parteienbündnis der Regierung, hatte keine eigenen Kandidaten aufgestellt.

Die US-Regierung drohte nach der Doppelwahl von Sonntag mit weiteren Sanktionen gegen die Regierung von Präsident Maduro. Washington werde die wirtschaftliche und diplomatische Hilfe für das Guaidó-Lager verstärken, hieß es von dieser Seite. "Die USA werden mehr unternehmen, um der Nationalversammlung und ihrer legitimen Führung durch verstärkten Druck gegen die Diktatur, ihre Führer und Verbündeten innerhalb und außerhalb Venezuelas zu helfen", sagte der US-Sondergesandte für Venezuela Elliott Abrams.

Russland erklärte indes seine Unterstützung für die Wahl des neuen Präsidenten der Nationalversammlung. Mit der Wahl Parras sei Venezuela zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückgekehrt. "Wir betrachten die Wahl einer neuen Führung des Parlaments als Ergebnis eines legitimen demokratischen Prozesses, der die Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit begünstigt",  hieß es in einer Stellungnahme des russischen Außenministeriums.

Für andauernde Debatten sorgte indes die Darstellung Guaidós, er und seine Mitstreiter seien von der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung ausgeschlossen worden. Der bisherige Amtsinhaber hatte am Sonntag versucht, über das Gitter vor dem Parlamentsgebäude zu klettern. Vertreter des Regierungslagers bekräftigten daraufhin, Guaidó hätte ohne Probleme an der Sitzung teilnehmen können. Angesichts einer drohenden Niederlage habe er jedoch einen Skandal inszeniert.

Tatsächlich hatte der Oppositionsabgeordnete Williams Dávila in einem Interview bestätigt, dass freier Zugang zum Plenum bestand. In einem Video ist ein Nationalgardist zu hören, der den bisherigen Parlamentspräsidenten auffordert, den Haupteingang zu nehmen. Guaidó weigerte sich jedoch und bestand darauf, das Parlament mit dem Abgeordneten Gilberto Sojo zu betreten, dem sein Mandat von der Justiz aberkannt worden war.

"Guaidó durfte nicht über das Gitter springen, weil er ohne Probleme durch die Haupttür der Nationalversammlung hätte gehen können", schrieb der ehemalige kolumbianische Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro in einem ironischen Kommentar auf Twitter. Petro kritisierte lateinamerikanische Medien, von denen die Version Guaidós unkritisch übernommen wurde. "Den blutigen Staatsstreich in Bolivien vermochten sie jedoch nicht anzuprangern", so Petro, der eine "Krise des lateinamerikanischen Journalismus" beklagte.

Kritischer interpretierte die neue Mitte-links-Regierung von Argentinien das Geschehen in Caracas. "Die Arbeit des Parlaments mit Gewalt zu verhindern, bedeutet, sich selbst zur internationalen Isolation zu verurteilen", heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums.

Die Bundesregierung stärkte Guaidó am Montag den Rücken. Parras Ernennung sei entgegen der Verfahrensregeln des Parlaments erfolgt, sagte der stellvertretende Sprecher des Auswärtigen Amtes, Rainer Breul. "Das war ein Angriff auf die demokratischen Rechte des Parlaments", so Breul bei der Bundespressekonferenz. Die Europäische Union kritisierte indes "ernsthafte Unregelmäßigkeiten" bei der Wahl Parras. Die Rechte des Parlaments seien missachtet worden. Die EU betrachte Guaidó daher nach wie vor als "legitimen Parlamentspräsidenten". Weder Bundesregierung noch EU führten aus, um welche Unregelmäßigkeiten es sich handelte.