Kuba / Politik / Wirtschaft

Parlament in Kuba zieht Bilanz über das Jahr 2020

Rezession von elf Prozent markiert schwersten Wirtschaftseinbruch seit den 1990er Jahren. Abgeordnete diskutieren Währungsreform und neues Modell für Staatsgastronomie. Stromtarife angepasst

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Kubas Nationalversammlung tagte auch in der letzten Sitzung des Jahres in semi-virtueller Form mit Videoschalten in die Provinzen
Kubas Nationalversammlung tagte auch in der letzten Sitzung des Jahres in semi-virtueller Form mit Videoschalten in die Provinzen

Havanna. Die Agenda der kubanischen Nationalversammlung bei ihrer letzten Sitzung ist von der Wirtschaftsentwicklung des vergangenen Jahres und der am 1. Januar anstehenden Währungsreform bestimmt gewesen. Auch ein Zeitplan für die Umsetzung der reformierten Verfassung und Neuerungen in der Gastronomie wurden diskutiert.

"Dieses Pandemiejahr war für die Revolution vielleicht das härteste der letzten Jahrzehnte", resümierte Präsident Miguel Díaz-Canel in seiner Eröffnungsrede am 16. Dezember, bei der auch der erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, Raúl Castro, anwesend war.

Trotz der "gigantischen Herausforderung der Corona-Pandemie" sei es gelungen, mit 1,4 pro 100 Fällen eine Sterblichkeitsrate deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt von 2,25 zu erreichen, sagte Díaz-Canel. Es habe weder eine Überlastung der Intensivkapazitäten gegeben, noch befänden sich Mitarbeiter des medizinischen Personals unter den 137 Corona-Toten des Landes. Derzeit arbeite man an der Herstellung eigener Beatmungsgeräte und der Erprobung der vier ersten Corona-Impfstoffkandidaten Lateinamerikas, die vom Finlay-Institut für Impfstoffentwicklung in Havanna produziert werden, führte der Präsident aus.

Wie der Wirtschaftsminister des sozialistischen Landes, Alejandro Gil, bekannt gab, verzeichnete die Insel in diesem Jahr einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von elf Prozent. Neben der mehrfachen Verschärfung der US-Blockade hätten vor allem die ausbleibenden Tourismuseinnahmen in Folge der Pandemie zur schwersten Rezession seit Mitte der 1990er Jahre geführt. So musste Kuba das Jahr mit lediglich 1,1 Millionen Besuchern schließen (2019: 4,2 Millionen Touristen). Auch in der Landwirtschaft gab es herbe Einbrüche, während die Zuckerrohrernte mit 1,2 Millionen Tonnen ähnlich niedrig wie im Vorjahr ausfiel. Der Großteil des Abschwungs ereignete sich laut Gil im zweiten Quartal des Jahres.

Für 2021 plant Kuba ein BIP-Wachstum zwischen sechs und sieben Prozent. Die Investitionen, vor allem in Lebensmittelindustrie, Baugewerbe und Biotechnologie, sollen um 22 Prozent zulegen. Die Wirtschaftsplaner gehen im kommenden Jahr von einem Anstieg der Deviseneinnahmen um 10,4 Prozent aus, womit diese weiterhin 16 Prozent unter den Ergebnissen von 2019 liegen. Das Ministerium rechnet damit, dass die Besucherzahlen bis Ende nächsten Jahres auf 2,2 Millionen steigen, was rund der Hälfte der Tourismusaktivität von 2019 entspräche.

Marino Murillo, Vorsitzender der Reform zur Umsetzung der Wirtschaftsleitlinien, gab den Abgeordneten einen Überblick über die unmittelbar bevorstehende Währungsreform. Ab dem 1. Januar wird der konvertible Peso (CUC) seine Gültigkeit als Zahlungsmittel auf der Insel verlieren und der kubanische Peso einen einheitlichen Wechselkurs von 24:1 zum US-Dollar erhalten. Ersparnisse und Bankkonten in CUC können noch bis zum 1. Juli umgetauscht werden. Mit der Abwertung des Peso im Staatssektor wird sich das Lohn-Preis-Gefüge auf der Insel neu zusammensetzen, weshalb die Löhne und Renten im Staatssektor durchschnittlich um den Faktor fünf erhöht wurden. Gleichzeitig werden die Preise für das monatliche Bezugsheft "Libreta" und andere staatliche Dienstleistungen steigen. Damit sollen stärkere Arbeitsanreize entstehen und "Hemmnisse für die Entwicklung der Produktivkräfte" beseitigt werden, so Murillo.

Mit der Währungsreform sollen die Voraussetzungen für viele der geplanten Mechanismen des neuen Wirtschaftsmodells geschaffen werden. Heimische Produkte werden günstiger als Importe. Staatsbetriebe dürfen inzwischen 80 Prozent ihrer Exporteinnahmen behalten und sollen untereinander sowie mit dem Privatsektor neue Wertschöpfungsketten bilden, um Importe zu ersetzen und sich zu rekapitalisieren.

Zehn Jahre nach Beginn der "Aktualisierung des Wirtschafts- und Sozialmodells", soll diese 2021 den entscheidenden Schub erhalten. Das größte Risiko bestehe in einer höher als geplant ausfallenden Inflation, weshalb der Staat bereit sei, nötigenfalls gegen "missbräuchliche und spekulative Preise" vorzugehen.

"Alles wird nochmals geprüft, auch die neuen Stromtarife", versprach Murillo gegenüber den Abgeordneten. Diese stießen aufgrund der hohen Preissteigerungen zuvor auf starke Ablehnung in der Bevölkerung und wurden Thema auf der Sitzung. In einer Sondersendung gab Murillo am Montag bekannt, dass man auf Basis der erhaltenen Kritik Anpassungen vorgenommen habe. So wird der günstigste Stromtarif ‒ bis 100 Kilowattstunde (kWh) pro Monat ‒ statt von 0,09 auf 0,40 Pesos nur auf 0,30 Pesos angehoben, die Preissteigerungen für die anderen Tarife fallen ebenfalls entsprechend moderater aus: 400 kWh werden jetzt mit sechs statt neun Pesos pro kWh verrechnet und sind damit ein Drittel günstiger als ursprünglich geplant. Die Verbrauchsstaffelung wurde engmaschiger, was mehr Anreize zum sparen setzen soll. Zudem können Privatbetriebe und Landwirte neue Gewerbetarife nutzen, die ab einem Verbrauch von 500 kWh im Monat deutlich günstiger als im Wohnbereich ausfallen. Damit sollen inflationäre Effekte durch eine Senkung der Betriebskosten reduziert werden. 97 Prozent der Bevölkerung befinden sich laut Murillo weiterhin in einem subventionierten Preissatz.

Neuerungen wird es im nächsten Jahr auch in der Gastronomie geben. Als Teil der "Perfektionierung des staatlichen Einzelhandels" sollen 3.342 der 6.848 staatlichen Restaurants an private Franchisenehmer und Kooperativen verpachtet werden, wie Binnenhandelsministerin Betsy Díaz Velázquez im Parlament erklärte. In den übrigen 3.506 Staatsrestaurants soll ein neues Modell erprobt werden, welches den einzelnen Betrieben weitgehende Autonomie gewährt.

Weiteres Thema war die Umsetzung der neuen Verfassung. 2020 hätten aufgrund der Pandemie nur acht der 14 geplanten Gesetze verabschiedet werden können, so Justizminister Oscar Manuel Silvera. Der Zeitplan wurde neu abgesteckt. Einige der ursprünglich für diese Legislatur geplanten Gesetze werden auf die Periode ab 2023 verschoben, darunter die Neufassung des Demonstrations- und Versammlungsrechts sowie mehrere geplante Gesetze zur Regelung der Staatsbürgerschaft. Im kommenden Jahr sind unter anderem ein neues Familiengesetz (das die Frage nach der Öffnung der Ehe für alle im Rahmen eines Referendums regeln soll), Gesetze zur Arbeitsweise der Gerichte, zum Datenschutz sowie ein neues Tierschutzgesetz geplant. 2022 sollen Steuerrecht und Strafgesetzbuch aktualisiert werden.

Am 17. Dezember, genau sechs Jahre nach der Rückkehr der letzten vier in den USA inhaftierten "Cuban Five", wählten die Abgeordneten Gerardo Hernández zum Mitglied des Staatsrats. Der ehemalige Agent und politische Gefangene war Teil der Gruppe, die gewaltbereite Organisationen des kubanischen Exils in den USA überwachten und die Informationen nach Kuba weitergaben. Sie wurden 1998 festgenommen und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Ein Gefangenenaustausch markierte im Dezember 2014 den Beginn der diplomatischen Annäherung zwischen Havanna und Washington. Im September war Hernández zum Leiter der "Komitees zur Verteidigung der Revolution" gewählt worden.

Wie bereits im November tagte Kubas Nationalversammlung auch in der letzten Sitzung des Jahres in semi-virtueller Form mit Videoschalten in die Provinzen. Die nächste Parlamentssitzung wird regulär im kommenden Juli stattfinden.