Kolumbien / Politik

Fortsetzung der Gewalt in Kolumbien

Gewalt eskaliert unter Präsident Duque. Friedensabkommen der Vorgängerregierung sollte das Land für Großgeschäfte optimieren und lässt Gewaltursachen unangetastet

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In einigen Regionen Kolumbiens ähneln die paramilitärischen Banden einer Besatzungsarmee
In einigen Regionen Kolumbiens ähneln die paramilitärischen Banden einer Besatzungsarmee

Der Euphorie, mit der die Öffentlichkeit die historische Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der Farc-Guerilla Ende 2016 nach vierjährigen Verhandlungen feierte, ist bereits vergangen. Nicht nur weil die Gewalt nicht verschwunden ist, sondern weil sie sich deutlich verschärft hat. Erschrocken erlebt die basisorganisierte Bevölkerung gerade, wie sie massiv zum militärischen Ziel paramilitärischer Banden erklärt wird. Oppositionelle vermuten teilweise Geheimdienststrukturen dahinter.

Zwischen Ende 2016 und August 2018 sind 3501 Angehörige der sozialen Bewegungen ermordet worden, praktisch doppelt2 so viele wie in den zwei vorherigen Jahren zusammen. Die Armeen der Drogenhändler, die mit dem lokalen Militär verbündet sind oder von ihm geduldet werden, sind in ehemalige Zonen der Farc vorgedrungen. In einigen Regionen ähneln sie einer Besatzungsarmee, der die lokale Bevölkerung völlig ausgeliefert ist. Massaker, die als Teil der paramilitärischen Vergangenheit galten, geschehen wieder3 und die Polizei und das Militär attackieren weiterhin Basis-Engagierte mit großer Härte, wodurch es beispielsweise 2017 zu einem Massaker an sieben Kokabauern im südlichen Departamento Nariño kam. In einigen Städten hat die Gewalt extreme Formen angenommen, wie die sogenannten Hackhäuser (casas de pique), wo die paramilitärischen Drogenbanden Menschen zerstückeln.4

Kein Frieden, nur Entwaffnung der Farc

Die Friedensverhandlungen in Havanna haben also zur Entwaffnung der Farc geführt, aber keinen soliden Ansatz für den Frieden gebracht. Dies liegt nicht nur an einer holprigen Umsetzung des Friedensvertrags bzw. den vielen Modifizierungen, die ihn nach der Unterzeichnung zahnloser gemacht haben, sondern auch daran, dass der Friedensprozess an sich nicht dafür konzipiert war, die alten Probleme, die zur politischen und sozialen Gewalt geführt hatten, an der Wurzel zu packen.

Eins davon ist die hohe Landkonzentration, die Landlose und Kleinbauern seit über einem Jahrhundert immer weiter in die Armut treibt und viele von ihnen in den letzten Jahrzehnten zum Überleben in den Koka-Anbau gezwungen hat. Gleichzeitig verfügen Drogenhändler, Agrarindustrielle, Bergbau- und Erdölfirmen sowie unproduktive Großgrundbesitzer über immer mehr Ländereien, die zum Teil die Paramilitärs durch Massenvertreibungen gewaltsam geräumt hatten. Aktuell hat Kolumbien die höchste Landkonzentration Lateinamerikas: 81 Prozent der Landfläche gehören zu nur 1 Prozent der Grundbesitzer5. Im Friedensvertrag bleibt der Großgrundbesitz jedoch unangetastet. Stattdessen verspricht der Staat, Brachland an Kleinbauern zuzuteilen und mit Besitzurkunden zu formalisieren. Dabei geht es insgesamt um circa acht Prozent der Landoberfläche (Zehn Millionen Hektar)6. Doch nicht mal diese Vereinbarung wird umgesetzt7. Außerdem boxte die Regierung Santos das Zidres-Gesetz durch, das den Großunternehmen das Ansammeln von Staatsländereien ermöglicht, die vorher nur den Landlosen oder Kleinbauern zugeteilt werden durften.8

Auch die Militärpolitik ist für die Gewalt in Kolumbien mitverantwortlich. Es ist eine gängige Praxis der Sicherheitskräfte, Widerständler als Staatsfeinde einzuordnen und mit aller Härte direkt oder mittels paramilitärischer Strukturen zu attackieren. Die Paramilitärs werden in Kolumbien meistens als dritter vom Staat unabhängiger Akteur gedeutet. Doch die Bildung und Unterstützung paramilitärischer Gruppen oder Kooperation mit ihnen ist seit den 1960er-Jahren Staatspolitik9 und phasenweise in der Gesetzgebung verankert gewesen. Die Beziehung zwischen Staat und Paramilitärs ist komplex und nicht immer gleich eng gewesen, aber sie hat die Tötung von Oppositionellen, Gemeindeführern, Menschenrechtlern, Gewerkschaftern u. a. ermöglicht und dem Staat die politischen Kosten davon erspart. Die demonstrative Grausamkeit war typisch für die Paramilitärs. Ganze Dörfer mussten in den Neunzigern und Zweitausendern dem öffentlichen Foltern, Köpfen oder Fußball-Spielen mit den Köpfen der Opfer durch die Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) beiwohnen, die sich offiziell 2006 entwaffneten. Ihre Erben sind die aktuellen paramilitärischen Banden.

Dass die Paramilitärs die Hauptverantwortlichen für die getöteten Zivilisten der letzten 60 Jahren sind, zeigt sich anhand der Zahlen des Konflikts (Siehe Tabelle im Anhang). Sie haben fast dreimal so viele Zivilisten durch Massaker, gezielte Morde und Verschwindenlassen getötet wie die Guerillas, nämlich circa 95.000. Die Guerillas 35.000.10 Als Ergebnis der jahrzehntelangen asymmetrischen Berichterstattung der Leitmedien über den Konflikt überwiegt in Kolumbien jedoch die Vorstellung, dass die Rebellen die größte Verantwortung für die Gewalt in Kolumbien tragen. Auch die offizielle Erzählung, dass eher korrupte Militärs mit Paramilitärs kooperiert haben, hat sich nicht nur in der öffentlichen Meinung sondern auch im Friedensvertrag durchgesetzt. Nirgendwo im Dokument wird der systematische Charakter des Problems zum Thema.

Zudem ist die Übergangsjustiz (JEP), die das System hinter den Beziehungen der Paramilitärs zu den Sicherheitskräften beziehungsweise deren Förderung durch Großunternehmer, Politiker und hochrangige Militärs hätte herausstellen können, stark eingeschränkt worden; zunächst durch die Regierung Santos im Friedensvertrag und später nach und nach durch die Legislative. Schließlich müssen sich hochrangige Militärs nicht für die Verbrechen ihrer Unteroffiziere verantworten und zivile Akteure, die Paramilitärs unterstützt haben, sind nun von der Pflicht befreit, sich vor der JEP zu erklären. Verpflichtet sind nur Angehörige der Farc und die Sicherheitskräfte. Die Drahtzieher und Profiteure vieler Verbrechen bleiben unangetastet.

Im Nachhinein sollte es jedenfalls nicht wundern, dass die Regierung Santos auf keine grundsätzlichen Ursachen des Konflikts eingehen wollte. Sie hatte bei den Friedensverhandlungen von vornherein festgelegt, dass das Wirtschaftsmodell und die Militärdoktrin nicht zu Debatte standen.11 Betrachtet man das intensive Werben für Kolumbien als verbessertes Investitionsziel durch Ex-Präsident Santos in Wirtschaftsforen12, ging es seiner Regierung beim Friedensprozess grundsätzlich darum, das Land zu befrieden, um Stabilität und Sicherheit für Großgeschäfte zu schaffen bzw. die durch die Farc gesperrten Gebieten für Investoren zu Verfügung zu stellen.

Rechte Regierung und stärkere Links-Mitte Opposition

Iván Duque, Vertreter der ultrarechten neoliberalen Partei Centro Democrático (CD), wurde mit 10,2 Millionen Stimmen nicht zuletzt dank der Popularität seines Mentors, des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe (2002-2010), zum neuen Präsidenten gewählt. Die Beliebtheit Uribes hält seit langem trotz zahlreicher Hinweise auf seine Verstrickungen mit dem Paramilitarismus an. Dazu zählt die Verwicklung in zwei Massaker in den Neunzigern.13 Unter seiner Regierung hat der Sicherheitsdienst DAS seine Gegner illegal bespitzelt und verfolgt14 und die Sicherheitskräfte haben 10.000 Zivilisten15 ermordet und sie als getötete Guerilla-Kämpfer präsentiert.

Auch wenn Duque moderater als sein Mentor auftritt, befürchten Oppositionelle eine Rückkehr zu Uribes Amtszeiten. Repressivere Gesetze gegen sozialen Protest, eine harte Hand gegen die Koka produzierenden Kleinbauern und die Drogenkonsumenten sind jedenfalls einige Ankündigungen der Regierung Duque, die autoritäre Züge aufweisen. Und obwohl es offiziell noch offen steht, ob sie den von Santos angefangenen Friedensdialog mit der ELN-Guerilla fortsetzen wird, setzt sie in der Praxis Bedingungen vor, die einer Kapitulation der Rebellen gleichen. Im Wirtschaftsbereich will Duque das Großkapital weniger besteuern, obwohl Kolumbien das zweitungleichste Land 16 weltweit ist.

Dass Duques Kontrahent, der linke Politiker Gustavo Petro, mit 8 Millionen Stimmen der meistgewählte Stichwahlverlierer und der meistgewählte linksgerichtete Kandidat in der Geschichte Kolumbiens war, zeigt jedoch die große Ablehnung, auf die das ultrarechte CD-Projekt in Kolumbien stößt. Die Korruptionsskandale der traditionellen Parteien und die rabiaten Attacken auf den Frieden durch die CD hatten in wichtigen Teilen der Wählerschaft Empörung erzeugt und sie zu den progressiven und linken Parteien gebracht, die nun zahlreicher im Kongress vertreten sind. Interessant ist vor allem, dass es Petros Wahlkampagne Colombia Humana – Menschliches Kolumbien – gelungen ist, die Debatte über das Sozial- und Wirtschaftsmodell in die Leitmedien zu bringen und nicht-politisierte Wähler zu politisieren.

Fest steht, dass Duque nicht auf die enorme Unterstützung der Bevölkerung zählen kann, die Uribe zu seinen Amtszeiten genossen hatte. Auf der anderen Seite könnte die rapide Zunahme der Morde an Basisaktivisten – momentan einer pro Tag – wieder das Engagement für die Demokratisierung des Landes hemmen.

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